Urs Rechsteiner
PädagogeEs soll sie noch immer geben, jene Mütter oder Väter, die ihren Kindern nach der Matura, wenn die noch nicht so richtig wissen, wie es weiter gehen soll, vielleicht sogar mit einem Beruf im musischen Bereich liebäugeln, den gut gemeinten Rat geben: Dann machst du eben das Lehrerseminar. Das hast du etwas Sicheres. Und später kannst du es ja immer noch als Schauspielerin versuchen.
So einer ist Urs Rechsteiner nicht. Ihn könnte man als einen Lehrer aus Passion, als einen Pädagogen bezeichnen.
Zielstrebig und geradlinig
«Schon von klein auf habe ich gerne mit Kindern geschafft, etwa den Nachbarskindern das Velofahren beigebracht», blickt Urs Rechsteiner auf seine Kindheit in Fluntern zurück. Die Primarschule oben im Heubeeribüel, dann im Schulhaus Fluntern, das Katholische Gymnasium und später die Stiftsschule im Kloster Einsiedeln – «eine Superzeit» nennt er sie – waren die Stationen seiner Schullaufbahn. Daneben Leitungsfunktionen bei Blauring und Jungwacht, einer Kinder- und Jugendorganisation, sowie bei der Jugendriege Fluntern. Die Entscheidung dann für ein Studium am Primarlehrerseminar war für ihn nur folgerichtig. Die Begründung, die Urs Rechsteiner für diese Wahl gibt, hört man heute von Lehrpersonen eher selten: «Ich kann mein eigener Chef im Klassenzimmer sein.» Und: «Es gibt noch Freiheiten als Lehrer. Sie werden zwar mehr und mehr eingeschränkt, aber die, die man noch hat, muss man nutzen.»
Nach dem Studium arbeitete Urs Rechsteiner 10 Jahre als Lehrer im Schulhaus Looren, erreichte im Militär den Rang eine Majors, absolvierte berufsbegleitend eine zweijährige Ausbildung zum Schulleiter. Er ist verheiratet mit Odette Rechsteiner-Arnold Sie haben drei Kinder, zwei Mädchen und einen Buben.
Zur Vervollständigung: Urs Rechsteiner ist vom Jahrgang 1978.
Fluntern im Visier
Den Kontakt zu seiner alten Schule in Fluntern verlor Urs Rechsteiner nie aus dem Blick. Und so wusste er auch, dass dort die Nachfolge von Katharina Altherr in der Schulleitung anstand. Diese Position interessierte ihn sehr. «Man bringt sich in Erinnerung …», so beschreibt er sein Interesse daran. Als die Stelle vor zwei Jahren ausgeschrieben wurde, bewarb er sich. Dem folgte dann ein ganz normales Auswahlverfahren: Ein externes Assessment und die Vorstellung vor dem Schulteam von Fluntern. Die Lehrpersonen können zwar bei der Wahl der Schulleitung nicht mit entscheiden, aber gegen sie wäre eine sinnvolle Zusammenarbeit schwer zu realisieren. Urs Rechsteiner wollten die Lehrer/innen offenbar. Und so wurde er der Schulleiter vom Fluntern-Heubeeribüel.
Sehr bewusst entschied sich Urs Rechsteiner bei der Wahl seiner ersten Leitungsposition für eine Schule im Kreis 7: «Da wusste ich, was mich erwartet. Ich habe lieber mit der Elternschaft zu tun, als mit Kinderschutzmassnahmen oder Prügeleien auf dem Pausenhof.» Das klingt bequem. Aber nur auf den ersten Blick. Denn auch in Flunterns Schulen gibt es Probleme. Es sind nur andere.
Ich glaube meinem Kind
Nicht sehr häufig, aber doch immer wieder kommt es vor, dass Eltern wegen der Benotung oder einer Zurechtweisung ihres Kindes bei der Lehrperson intervenieren. Dann sieht sich mitunter eine junge Lehrerin mit «gestandenen, hochangesehenen Eltern und ihrem Projekt ‹Kind› konfrontiert. Und auf die Begründung für eine pädagogische Massnahme folgt gar nicht so selten der Satz: ‹Aber ich glaube meinem Kind, nicht Ihnen›». «Daran», so Urs Rechsteiner, «zerbrechen manche.» Er weiss auch, dass Kinder ein feines Sensorium dafür haben, wie sie ihre Eltern beeinflussen können: «Ich muss nur das oder das sagen und der Papi springt …» Rechsteiner hat dazu eine klare Position: «Dann muss man sich hinstellen können und diesen Eltern sagen – bei uns nicht. Es gibt wenige solcher Fälle, aber die sind schwierig. Vor allem, weil so den Kindern eine Rolle zugewiesen wird, der sie nicht gerecht werden können. Sie sind endlos überfordert.»
Von Rittern und Blumen
Auch in Fluntern bilden Frauen den überwiegenden Teil der Lehrpersonen. Für manche Eltern ein Problem, weil Lehrerinnen bei den Kindern überwiegend musische Fähigkeiten fördern würden, Lehrer dagegen das, was später in der Wirtschaft gebraucht wird. Wie Mathematik etwa. Eine ziemlich verbreitete Ansicht. Dazu der Experte Rechsteiner: «Ich staune immer wieder über Untersuchungen, die das behaupten. Das ist eine Optik aus der Sicht mancher Eltern. Ich jedenfalls nehme es nicht so wahr. Dagegen spricht allein schon, dass der Lehrplan so vieles so genau vorgibt, dass die einzelne Lehrperson gar nicht ausschlaggebend ist. In Mathematik etwa oder auch in Deutsch ist genau festgelegt, was eine Lehrperson zu unterrichten hat. Lediglich im Fach ‚Mensch und Umwelt‘ hat sie Raum für eigene Themen. Aber auch hier ist es nicht so, dass die Lehrer dann die Ritter und Römer und die Lehrerinnen Blumen und Bienli wählen.»
Trotzdem, das weiss Urs Rechsteiner, Lehrer haben es «ein Spürchen leichter» als Lehrerinnen. «Ob Männer oder ob Frauen Unterricht geben, macht keinen Unterschied. Für die Kinder. Wohl aber manchmal von Seiten der Eltern.» Und man fühlt sich einen Stossseufzer seiner Vorgängerin Katharina Altherr erinnert: «Wäre ich ein Mann gewesen, wären mir manche Eltern nicht so gekommen.»
Seit gut einem Jahr amtiert Urs Rechsteiner jetzt als Schulleiter. Diplomatisch resümiert er: «Ich bin froh, ein ruhiges Einstiegsjahr gehabt zu haben.» Geholfen hat ihm sicher dabei, dass er vorher nie den Kontakt zu Flunterns Schulen, oben am Heubeeribüel und unten am Vorderberg, verloren hatte, ihre spezifischen Probleme und nicht zuletzt viele der Lehreinnen und Lehrer kannte und ihre Arbeit schätzte. Seine Grundsätze: «Ein offenes Verhältnis zu allen Mitarbeitenden, klare, nachvollziehbare Regelungen, keine Sitzung um der Sitzung willen und wenn, dann fängt sie an, dann hört sie auf» – hier spricht der Major – und vor allem «gegenseitige Wertschätzung.»
Ein ruhiges zweites Jahr wird es für Urs Rechsteiner nicht geben. Ab März 2015 soll mit dem Aufbau der Pavillons für die Erweiterung des Schulhauses Fluntern auf der Sportwiese begonnen werden. Nicht zur Freude Mancher…
«Die Halbwertzeit von Schulleitern liegt», so Urs Rechsteiner, «bei zwei Jahren.» Zur Änderung dieses statistischen Wertes will er beitragen: «Ich habe vor zu bleiben. Jetzt fange ich an, meine Ideen aktiv einfliessen zu lassen. Unter fünf bis sechs Jahren habe ich nicht vor, hier wieder wegzugehen.»
Wir sind kein Schlafquartier
Die Frage nach seinen Wünschen für das Quartier beantwortet Urs Rechsteiner zunächst grundsätzlich: «Ich wünsche mir, dass man gegenseitig weiss, was der andere macht, dass man spürt, was unser Quartier ist.», um anschliessend sehr konkret das zu beschreiben, was er dazu beitragen kann: «Ich möchte gerne die Schule öffnen, damit die Leute wahrnehmen können, was wir machen.» Eine Kleinigkeit, die aber die Richtung angibt: Auch in diesem November werden Schüler/innen der 5. und 6. Klasse den Räbenliechtliumzug der Kleinen als Fackelträger begleiten. Und In den nächsten Jahren will Rechsteiner einen Anlass für das Quartier kreieren, der dann später regelmässig stattfinden soll. «Da bietet das Schulhaus doch Platz und Möglichkeiten.» Sein Ziel: «Das Zusammengehörigkeitsgefühl in Fluntern 000stärken.»
Ausnahmslos alle Funtermer/innen, denen diese Frage gestellt wird, wünschen und erhoffen sich das. Die logische Folgefrage: Warum gelingt es so selten?
Martin Kreutzberg