Tania Oldenhage
PfarrerinAls Verena Naegeli, nach Ablauf ihrer auf zwei Jahre befristeten Tätigkeit als Pfarrerin an der evang.-ref. Kirche Fluntern, signalisierte, dass sie sich wieder ihrem ursprünglichen Wirkungsbereich, dem interreligiösen Dialog, zuwenden wolle, beschloss die Kirchenpflege die Position vorerst nicht auszuschreiben, sondern sich zunächst auf einen informellen Vorschlag des Kirchenrates des Kantons Zürich einzulassen.
Dort fiel der Name Tania Oldenhage.
Tania Oldenhage war damals weit weg. In den USA. Sie hatte an der «Harvard Divinity School» einen Forschungs- und Lehrauftrag. Und dort erreichte sie ein Anruf aus Fluntern. «Ich bin dann für zwei Tage nach Zürich geflogen, habe mich der Kirchenpflege und dem Kollegen Thomas Grossenbacher vorgestellt.» Offensichtlich fanden beide Seiten Interesse aneinander. Denn anschliessend entschied mit Zustimmung der Fluntermer Kirchenpflege der Kirchenrat: «Frau Dr. Tania Oldenhage wird für zwei Jahre nach Fluntern beordert.»
Eine ganz tolle Zeit und eine bittere Erfahrung
Aufgewachsen ist Tania Oldenhage in der Kurpfalz, in der Nähe von Heidelberg. Sie studierte Theologie in Heidelberg, Marburg und Hamburg. Es folgte ein Austauschjahr in den USA an einem der ältesten und renommiertesten religionswissenschaftlichen Institute, dem «Religion Department der Temple University» in Philadelphia. Ein Auslandsjahr mit Folgen. Denn für Tania Oldenhage muss es wie eine Befreiung gewesen sein: «Wenn wir in Deutschland etwas Aktuelles gelesen haben, dann kam das aus den sechziger Jahren. Ansonsten war der Referenzpunkt die Bibelexegese.» Nicht dass das für die Theologiestudentin unwichtig gewesen wäre, aber die interdisziplinären Verbindungen zu den Sozialwissenschaften, zur postmodernen Philosophie oder zur postkolonialen Problematik, die beim Studium an der «Temple University» breiten Raum einnahmen, faszinierten sie. Schon nach kurzer Zeit war Tania Oldenhage klar: «Hier will ich unbedingt bleiben.» Sie schloss dann auch ihr Studium dort ab, promovierte und fand eine Stelle als Assistenzprofessorin am «Mount Union College» in Ohio als Verantwortliche für die Bibelwissenschaften.
Die Menschen in der Gegend dort waren zwar sehr konservativ und die meisten ihrer Studentinnen und Studenten glaubten, dass die Bibel von Gott selbst geschrieben worden sei, aber Tania Oldenhage hatte das Gefühl: «Gut, dass sie zu mir kommen. Ich kann in den Köpfen wirklich etwas bewegen.» Eine «ganz tolle Zeit» nennt sie das heute. Etwas später kam auch ihr Mann in die USA und erhielt eine Stelle als Spitalseelsorger in Cleveland. Alles prächtig?
Ja, aber dann kam der 11. September 2001 und alles änderte sich. Der Einmarsch in Afghanistan, die Vorbereitung auf die Irak -Invasion – das politische Klima in den USA radikalisierte sich. Überall Fahnen, Aufkleber, Kriegsstimmung. Auch am «Mount Union College» änderte sich die Atmosphäre grundlegend. «Ich habe», so erinnert sich Tania Oldenhage, «in diesem Semester einen Kurs zum Thema ‚Holocaust’ unterrichtet, den Student/innen erklärt, wie der Faschismus in Deutschland entstanden ist. Und sie sind auch mitgegangen. Aber dann merkte ich, dass alles, was ich vorbringe, nicht ankommt gegen die Sozialisation dieser jungen Menschen, die gelernt hatten, wenn sie ihren Präsidenten infrage stellen, dann sind sie Landesverräter.» Für Tania Oldenhage eine bittere Erfahrung. Und da ihr Mann in Cleveland ähnliche Erlebnisse hatte, beschlossen beide, wieder nach Europa zurückzukehren.
Von Ohio nach Männedorf
Wie kommt man von Ohio an das Evangelische Tagungs- und Studienzentrum Boldern in Männedorf?
Tania Oldenhages Kontakte zur Schweiz waren schon immer eng. Schliesslich ist ihre Mutter eine Bernerin. Vor allem aber wirkten wohl die internationalen Kontakte in den theologischen Wissenschaften. Auch im fernen Ohio hatte Tania Oldenhage die engagierte wissenschaftliche Arbeit des Studienzentrum Boldern speziell im Bereich der feministischen Theologie verfolgt. Sie las die Publikationen von Reinhild Traitler, der langjährigen Leiterin des Studienzentrums Boldern. Als von Boldern eine Stelle ausgeschrieben wurde, bewarb sich Tania Oldenhage und wurde gewählt. Ihr Ressort: «Theologie im gesellschaftlichen Dialog» mit dem Schwerpunkt «Theologie und Geschlechterfragen».
So einfach kommt man von Ohio nach Männedorf.
Ich möchte mit Menschen zu tun haben
Im Tagungs- und Studienzentrum Boldern hat Tania Oldenhage gerne gearbeitet, fünf Jahre Tagungen und Seminare inhaltlich vorbereitet und geleitet. Nur manchmal fehlte ihr der direkte Kontakt zu den Menschen. Nach fünf Jahren liess sie sich beurlauben und begann die praktische Ausbildung in der Kirchgemeinde Zürich-Wiedikon mit dem Ziel der Ordination.
Denn auch nach Abschluss des Theologiestudiums kann man noch nicht als Pfarrerin oder Pfarrer arbeiten. Dazu braucht es die Ordination. Im Kanton Zürich gibt es dafür eine einjährige Spezialausbildung. «Das, was man im Studium gelernt hat, ist dann meistens gar nicht mehr so zentral», schätzt Tania Oldenhage das rückblickend ein.
Im Vordergrund stehen dafür Themen wie: « Wie führt man ein Seelsorgegespräch?» oder «Wie gestaltet man einen Gottesdienst so, dass er auch die Kinder erfreut?» Nach der bestandenen Abschlussprüfung wird dann in einem feierlichen Gottesdienst die Ordination erteilt, d.h. die Berechtigung, als Pfarrerin oder Pfarrer in einer Gemeinde tätig zu sein.
Jeder Tag ist anders
Seit August 2010 ist Tania Oldenhage nun als Pfarrerin an der evang.-ref. Kirche in Fluntern tätig. Wie sieht ein erstes Resümee aus? Tania Oldenhage überlegt. Sie neigt nicht zu schnellen Urteilen, sondern denkt erst gründlich nach, ehe sie antwortet. «Was ich geniesse ist, dass ich nicht einen ganzen Monat am Schreibtisch arbeiten muss, bis ich endlich etwas mit Menschen zu tun habe.» Vor allem aber schätzt sie die grosse Bandbreite ihrer Arbeit. Vom «Fiiere mit de Chliine», einer Veranstaltungsreihe für Kinder, bis hin zur thematisch anspruchsvollen Gesprächsreihe «Brennpunkt Theologie», in der bis zum Mai sieben Veranstaltungen vorgesehen sind. Und dann natürlich, ein Kernpunkt ihrer Tätigkeit, die Vorbereitung der Gottesdienste.
«Ich bin eine langsame Person», sagt Tania Oldenhage, «ich kann nicht, wenn ich am Sonntag Gottesdienst habe, am Freitag beginnen, darüber nachzudenken. Mindestens eine Woche vorher fange ich damit an, lasse es liegen, kehre wieder zurück.»
Natürlich gibt es bei ihrer Arbeit auch die unumgänglichen Sitzungen. Aber, als für sie besonders positiv resümiert Tania Oldenhage: «Jeder Tag ist anders.» Ihre Tätigkeit als Pfarrerin, so der Eindruck, scheint ihr selbst auch viel zu geben.
Der etwas andere Blick
Sechs Monate ist Tania Oldenhage jetzt im Quartier. Was ist ihr aufgefallen?
Tania Oldenhage antwortet mit einer Beschreibung. Sie wohnt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Opfikon, einem ganz anderem sozialen Umfeld als in Fluntern. Dort war sie unlängst an einem von der Kirche organisierten Kindernachmittag. «Da waren Kinder mit afrikanischem Hintergrund, wenig Deutsche, eine multikulturelle Gemeinschaft. Hier in Fluntern ist das Bild homogener, hier tauche ich jeden Tag in eine andere soziale Welt ein.» Und dann formuliert es Tania Oldenhage als Frage: «Was geschieht hier mit einem Kind, einer Familie, die nicht in dieses homogene Bild passt?»
Martin Kreutzberg