Simone Schwegler
Theaterpädagogin, ImprovisationsschauspielerinDie junge Fluntermerin ist viel unterwegs. In Deutschland, Amerika oder Holland. Simone Schwegler ist Schauspielerin. Genauer Improvisationsschauspielerin. Eine Kunstform, die in der Schweiz noch ein Mauerblümchendasein fristet.
«Improvisationstheater», konstatiert Simone Schwegler ganz nüchtern, «hat in der Schweiz einen relativ niedrigen Stellenwert. Im Gegensatz zu den USA oder Kanada, wo es ein sehr anerkannter Teil der Popkultur ist.» Gerade ist Simone Schwegler vom Festvival «open stage» aus Berlin, zu dem sie mit ihrem Theater «anundpfirsich» eingeladen war, zurückgekehrt. 28 Schauspieler aus 14 Nationen haben dort zehn Tage gemeinsam mit den Theaterbesuchern improvisiert, gespielt. Jede Vorstellung vor ausverkauftem Haus. «Berlin hat mich wahnsinnig inspiriert. Da steht man mit Leuten aus Australien, Deutschland oder den USA auf der Bühne und improvisiert nach einer Vorgabe aus dem Publikum eine romantische Komödie. Für uns aus Zürich war es ein grosses Geschenk, dort eingeladen worden zu sein.»
Und wohl auch eine Anerkennung für die Qualität ihrer Arbeit.
Dornröschen und die Folgen
Begonnen hat alles ganz unspektakulär. Im Fluntermer Kindsgi. Vor fast 25 Jahren. Frau Bühler, die legendäre Kindergärtnerin, führte «Dornröschen» auf. Für Simone Schwegler begann das mit einer Enttäuschung. Denn natürlich wollte sie das Dornröschen spielen, aber dann wurden es «nur», wie sie zuerst glaubte, mehrere Nebenrollen: Die Spinnerin, ein Hirt, die böse Hexe. Letztere hat Simone Schwegler gut gefallen: «Ich bin gerne Bösewicht».
Irgendetwas muss damals bei Simone Schwegler hängen geblieben sein. Denn das Theaterspielen ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.
Ich möchte am liebsten fort sein und bleibe am liebsten hier
Simone Schwegler erinnert sich gerne an ihre Kindheit in Fluntern: An das «Highlight» Schulsilvester, das Bräteln auf der Escherhöhe, das Spielen auf der Strasse, die Zeit bei der Pfadi «Agua», fremde Hunde ausführen, Mittagessen bei anderen Kindern. Mit einem kleinen Unterschied: Simone Schweglers Eltern arbeiteten beide halbtags. Da stand dann schon mal zur Überraschung ihrer Freundinnen mittags der Vater am Herd. Und im Sommer ging es bei den Schweglers nicht auf die Malediven, sondern auf eine Alp im Tessin.
Trotzdem: Ein eigentlich ein ganz «normaler» Fluntermer Lebenslauf: Kindsgi, Primarschule, Gymi Rämibühl, Matura. Danach stellte Simone Schwegler allerdings die Weichen etwas anders. Statt Bildungsreise rund um die Welt mit anschliessendem Studium von Betriebswirtschaft, Medizin oder Jura ging sie auf einen sozialpädagogischen Bauernhof in Bäretschwil, einer Integrationsstätte für behinderte Jugendliche – «Ein halbes Jahr handwerkliche Arbeit, weg vom ‹Kopfigen›, das hat mir sehr gut getan» –, baute im kriegszerstörten Bosnien zusammen mit Jugendlichen ganz verschiedener Ethnien einen Park wieder auf.
Diese Zeit nach der Matura hat Simone Schwegler viel gebracht. Sie war aber auch notwendig, um Abstand zu gewinnen, Abstand von einer sehr harmonischen Kindheit, die, so sieht es Simone Schwegler heute, für sie auch die Gefahr zu einem bequemen «weiter so» in sich barg.
Ihr Studium an der Pädagogischen Hochschule dann hatte eher rationale Gründe: «Ein kurzer, strukturierter, vielseitiger Studiengang. Vor allem die Ausbildung in Theaterpädagogik dort hat mich getragen.» Ihre erste Arbeitsstätte nach Abschluss des Studiums: Das Schulhaus Illgen. «Mein Herzensschulhaus» nennt es Simone Schwegler. «Noch heute werde ich immer wieder angefragt, wenn jemand krank ist. Logisch gehe ich dann aushelfen, weil ich dort verankert bin.»
Viel Zeit dazu hat Simone Schwegler allerdings nicht. Schon während ihres Studiums an der PH hat sie angefangen Improvisationstheater zu spielen. Zunächst nur, um etwas Geld damit zu verdienen. Dann aber wurde das Spielen für sie immer wichtiger und schliesslich zu ihrem Beruf.
Bei uns ist das Publikum König
Auf den Proben erarbeiten die Schauspieler/innen, meist unter der mehr oder weniger autoritären Anleitung der Regie, ein Ergebnis, das dann dem Publikum in der Aufführung präsentiert wird. Natürlich hat das Publikum immer Einfluss auf die Aufführung. Jede Darstellerin oder jeder Darsteller kennt «gutes» oder «schlechtes» Publikum, aber eines bleibt letztlich immer gleich: «Oben» die Aktiven, die etwas vorführen, «unten» die Passiven, die mehr oder weniger lustvoll konsumieren. Beim Improvisationstheater ist, wie Simone Schwegler es beschreibt, «der Prozess des Entstehens das Ergebnis.» Die Schauspieler/innen geben ein Thema vor oder lassen sich vom Publikum eines nennen, das sie dann gemeinsam, oft mit Spielpartnern aus dem Publikum, auf der Bühne entwickeln. «Beobachten, Annehmen, Reagieren», so beschreibt Simone Schwegler den Prozess der Entstehung ihrer Aufführungen. Jede Vorstellung ist, je nach Zusammensetzung des Publikums, anders: «Das ist die Magie dieser Theaterform.» Auf die leicht skeptische Frage, ob diese Form der Mitwirkung einzelner Besucher/innen nicht zum Vorführen von Unbeholfenheiten oder zum auch zum peinlichen «sich zur Schau stellen» führen kann, antwortet Simone Schwegler klar: «Wir stellen zuerst ein Ambiente her, in dem sich jeder sicher sein kann, dass er sich nicht blamiert. Und wenn du es schaffst, den anderen glänzen zu lassen, dann bist du gut. Bei uns ist die Person, die zusammen mit uns eine Situation spielerisch improvisiert, der König.» Und dann fügt sie ganz grundsätzlich an: «Uns wird über Jahre antrainiert, dass ein Fehler schlecht ist. Er ist aber auch eine Chance, denn daraus kann Neues entstehen.»
Um einen solchen kreativen Prozess am Theaterabend selbst steuern zu können, braucht es viel Erfahrung und Können von Seiten der Schauspiele/innen. Mit «Laientheater» ist das nicht zu machen.
Das war auch ein Grund dafür, dass sich Simone Schwegler und ihre Gruppe eine professionelle Struktur gegeben haben. Gemeinsam und auf eigenes Risiko betreiben sie seit einigen Jahren das Theater «anundpfirsich» in der Binz.
Materielle Sicherheit? Keine.
Ist es schwer, sich in diesem Kunstbereich in Zürich, in der Schweiz durchzusetzen, beruflich zu bestehen? Diese Frage beantwortet Simone Schwegler mit einem leisen, aber nachdrücklichen «ja».
Finanzielle Unterstützung gibt es manchmal durch Stiftungen oder durch die Migros. Von der Stadt Zürich keine. «Uns gibt es zwar schon lange, aber immer noch kämpfen wir darum, überhaupt wahrgenommen zu werden.» Und mit Entschiedenheit: « Improvisationstheater ist kein ‹Laiengrüppli›, in dem Sozialpädagogen mal ein Theater mieten und ihre Freunde und Verwandten dazu einladen, sondern eine spezifische Form von professionellem Theater. Das hat sich noch nicht überall herumgesprochen. Zumindest nicht bei uns in Zürich.»
Aber selbst wenn sich das eines Tages bis in der Kulturverwaltung von Zürich «herumgesprochen» haben sollte, materielle Sicherheit wäre auch dann nicht zu erreichen. Simone Schwegler sieht das ganz realistisch: «Im Kulturbetrieb Geld zu verdienen, ist schwierig. Das ist eine Tatsache, von der reden wir gar nicht.» Andererseits, da wird sie ganz prinzipiell: «Viel Geld, viel Fremdbestimmung, wenn das der Deal wäre, würde ich es nicht machen.»
Gleichaltrige aus Simone Schweglers Kindheit in Fluntern überlegen vielleicht gerade, sich ein grösseres Auto anzuschaffen oder eine Wohnung zu kaufen. Ihre Wünsche sind bescheidener: «Ein halbes Jahr Zeit, um Neues auszuprobieren oder vier Wochen bezahlte Ferien.»
Martin Kreutzberg