Reinhild Traitler

Theologin, Feministin, Schriftstellerin

Ihre Tätigkeit und ihre Familiengeschichte verbinden Reinhild Traitler mit vielen Orten auf dieser Welt. Ihr Interesse gilt der ganzen Erde – und dem Himmel darüber, Ihre Heimat bleibt Österreich, ihr Zuhause aber ist Zürich-Flunter
n.

Die Wohnung an der Hochstrasse nennt Reinhild Traitler einen Glücksfall. Nicht nur weil die Miete gerade noch erschwinglich ist, sondern weil in diesem Haus das funktioniert, was sie seit jeher auf allen Ebenen anstrebt: Begegnung und Verständigung. «Wir sind alle vor einem Jahr eingezogen, kennen uns und nehmen uns Zeit füreinander. Die Atmosphäre ist wärmer als üblich, vielleicht weil sich niemand mehr beweisen muss. Wir sind alle im Pensionsalter, dies hier ist ja eine Alterssiedlung.» Die beiden Begriffe scheinen Reinhild Traitler selber zu verwundern, denn eigentlich steckt sie noch mitten in der Arbeit. Das von ihr mitgegründete Europäische Projekt für interreligiöses Lernen EPIL beschäftigt sie nach wie vor stark. Da bleibt kaum Zeit für Kaffee und Kuchen in der Konditorei am Vorderberg. Eine Ecke im Quartier, die sich – ganz in ihrem Sinn – zu einem idealen Treffpunkt entwickelt hat.
Reinhild Traitler wurde während des Zweiten Weltkriegs in Berlin geboren, wo ihr österreichischer Vater, von Beruf Chemiker, zum wissenschaftlichen Kriegsdienst verpflichtet worden war. Nach dem Krieg zog die Familie nach Österreich. Für ihre deutsche Mutter, die in Berlin Theologie studiert hatte, war das auch sprachlich Neuland. Darum blieb sie zeitlebens beim Hochdeutschen. «Sie hatte Mühe mit den Doppellauten. ‹A liaba Bua› hats net sagen kennen.» Später wurde Wien zum Familienmittelpunkt, wo sich alle bei der Grossmutter trafen. Und noch heute sagt Reinhild Traitlers Sohn: «Ein Weihnachten ohne Wien ist nicht so richtig Weihnachten.»
Beim Studium, sie belegte Germanistik, Anglistik und – soweit das möglich war – Theologie, begann die Schweiz erstmals eine Rolle zu spielen, wenn auch nur indirekt. Einer ihrer Professoren war der Schweizer Theologe Kurt Lüthi. Ein Wissenschaftler ‚ausserhalb des Elfenbeinturms’, der sich ‚die Freiheit zum Lebensthema machte’, wie in einem Nachruf zu lesen war. «Wir haben ihn geliebt, weil er einen demokratischen Umgang mit uns Studierenden pflegte. Er hat uns eingeladen und mit uns auch über andere Fragen diskutiert, die zwar theologisch relevant waren, aber nicht einfach dem Lehrplan entsprachen. Das war für uns so begeisternd!» Verständlich, dass das Nebenfach immer stärker in den Vordergrund drängte. Ihre Doktorarbeit schrieb sie zwar in Germanistik, aber ihr ganzes Berufsleben lang hat sie im theologischen und pädagogischen Bereich gearbeitet.

Schlimmer als ein Pfarramt!
Ihre allererste Stelle bezeichnet Reinhild Traitler als eine Art Sprungbrett. Sie wurde zur Generalsekretärin der evangelischen Studentengemeinde in Österreich gewählt, eine Halbtagsstelle, die sie sich nur «leisten» konnte, weil sie noch bei ihren Eltern wohnte. «In diesen drei Jahren habe ich enorm viel gelernt in Bezug auf Organisation, Menschenführung und selbstständiges Arbeiten.» Und sie ist viel gereist. In Österreich, aber auch in andere europäische Länder, und in eine Stadt, die in ihrem Leben ebenfalls eine wichtige Rolle spielen sollte: Prag. Sie erlebte die Zeit des Prager Frühlings in den späten 60er-Jahren, aber auch den Einmarsch der Sowjets im August 1968. Schon vor der Wende knüpfte sie Kontakte zu vielen Frauen, die in der Demokratiebewegung aktiv waren.
In Prag lernte Reinhild Traitler auch ihren späteren Mann, den philippinischen Juristen Cesar Espiritu, kennen, der sich damals im Widerstand gegen das Marcos-Regime engagierte. die Reinhild Traitler entwickelte. Zuvor arbeitete sie in Genf als Referentin für entwicklungspolitische Bildungsarbeit beim Weltkirchenrat, eine Anstellung, die sie vor allem ihrem Engagement beim Christlichen Studentenweltbund verdankte. «Na gut, hab ich gedacht, geh ich halt für drei Jahre nach Genf – es sind dann vierzehn geworden. Und so bin ich in der Schweiz hängen geblieben. Viele Jahre arbeite sie dann für das Evanglische Tagungs- und Studienzentrum Boldern, das sie entscheidend mit prägte.
Aber warum ist sie eigentlich nicht Pfarrerin geworden? «Das war damals vom Studium her nicht möglich. Und eigentlich habe ich in Boldern etwas ganz Ähnliches gemacht. Vor allem am Anfang, als ich im Boldernhaus nicht nur lebte, sondern auch mein Büro dort hatte. Mein Mann sagte oft: «Boldern ist schlimmer als ein Pfarramt!» Ich war immer erreichbar, ständig am Telefonieren, dauernd klopfte jemand an die Tür. Es war eine Mischung aus Lehrtätigkeit, Organisation und Seelsorge.» Nach fünfundzwanzig Jahren ist ihr der Abschied vom Haus an der Voltastrasse schwer gefallen, ist Fluntern ihr ans Herz gewachsen. «Zwei Menschen, die mir ganz besonders viel bedeutet haben, sind hier auf dem Friedhof begraben: mein Mann und meine Schwiegertochter.» Die Partnerin ihres Sohnes war halb Schweizerin, halb Mexikanerin. Darum trägt die bald sechzehnjährige Enkelin den indianischen, genauer: zapotekischen Namen Nayeli, was «ich liebe dich» bedeutet. Nach dem Tod der Mutter vor drei Jahren übernahm Reinhild Traitler noch einmal Familienpflichten. Als Nayeli in der Grossen Kirche Fluntern konfirmiert wurde, war die stolze Grossmutter sehr beeindruckt von der Art, wie Pfarrer Grossenbacher und die neunzehn Konfirmandinnen und Konfirmanden die Feier gestaltet haben. Beim gewählten Thema «Stille» war sie erst etwas skeptisch, durfte dann aber feststellen, dass es den jungen Leuten dabei um Dinge wie Stress ging, weniger um Rückzug oder Abkehr.

Ständige Suche nach Gerechtigkeit
Als Protestantin wuchs die junge Reinhild im vorwiegend katholischen Österreich in einer Diaspora-Kirche auf. Diese Minderheitserfahrung habe ihren Sinn für Gerechtigkeit geschärft, meint sie. «Ich habe ein starkes Sensorium entwickelt um zu erkennen, wenn jemand benachteiligt wird. Dann schlag ich mich sozusagen automatisch auf seine Seite. Zum Glück kann ich das auch schreibend ausdrücken. Ihr letztes Buch, «Es muss nicht der siebte Himmel sein», ist 2009 erschienen. Im Klappentext steht unter anderem: «Es würde genügen, auf dieser Erde fair miteinander umzugehen und das Leben gut zu gestalten.»

Liz Sutter