Raphael Voellmy

Informatikstudent, Bitcoinfan

Bankenkrise, Griechenlandkrise, Flüchtlingskrise, Krieg, Terror weltweit – wie empfindet ein junger Mensch, einer der die Zukunft noch vor sich hat, das gegenwärtige Geschehen in der Welt? Die Antwort überrascht in ihrer Eindeutigkeit: «Ich bin vielleicht etwas naiv, aber wenn ich mir das ‹big picture› anschaue, dann bin ich sehr, sehr optimistisch»: Raphael Voellmy, 26 Jahre alt.


«Raphael», an den Ruf der Mutter nach ihrem jüngsten Sohn erinnern sich noch immer manche aus dem Quartier. Denn Raphael war unterwegs. Spielen mit anderen Kindern. Beides hat Raphael Voellmy sich bewahrt: Das Spielerische und das Unterwegssein. Allerdings weniger örtlich als vielmehr virtuell, im Netz.
Äusserlich sieht sein bisheriger Lebensweg ganz «normal» aus: Schulhaus Fluntern, Gymi Rämibühl, Studium an der Uni Zürich. Doch schon während der Gymizeit wollte er ein Austauschhalbjahr nutzen, um möglichst weit weg von Zürich Neues kennenzulernen.
Seine Eltern waren einverstanden, aber: «organisiere dir das selbst.» Raphael fand im Rotary Club einen Sponsor. Singapur, wie eigentlich gewünscht, wurde es nicht. Er konnte wählen zwischen Taiwan und Korea. «Weil ich so ein Wolkenkratzerfan bin und es in Taipeh das damals höchste Haus der Welt gab, hab ich mich für Taiwan entschieden.»
Ist ihm von diesem halben Jahr ausser Englisch lernen oder der Bewunderung für die Hochbauten in Taipeh bis heute etwas geblieben? Raphael Voellmy überlegt lange. Dann antwortet er mit einer Geschichte: «Einen Teil der sechs Monate lebte ich in einer unglaublich reichen Familie. Die Mutter hat eigentlich den ganzen Tag nichts anderes getan, als mit wichtigen Leuten zu telefonieren und jede Menge Geschenke zu verteilen. Als sie einmal wegen zu schnellem Fahren angehalten wurde, liess sie den Polizeichef anrufen… Das Kindermädchen allerdings wurde gehalten wie ein Sklavin.» Erfahrungen eines 16 Jährigen Schweizers im Ausland.

Arbeitsplatz Chez Marion
Dass der Computerfreak nach der Matur Informatik als Studienfach wählte, war relativ naheliegend. Gerade hat er den Bachelor gemacht. Das Studium absolvierte er gewissermassen als «Werkstudent»: 50% seiner Zeit investierte er in das Studium. Das reichte ihm: « Man muss nicht in alle Vorlesungen gehen, denn in der Informatik kann man jedes Thema googeln und es wird einem dann erst noch besser erklärt als in mancher Vorlesung.» So blieb Zeit für Jobs: Bei einer Zürcher Grossbank – «dort habe ich gelernt, dass die Bereiche, von denen man denkt, dass sie geheim sind, doch nicht so geheim sind» –, bei einer Wirtschaftsberatungsfirma – «dort habe ich gelernt, dass in der ganzen Betriebswirtschaft viel heisse Luft ist» – oder bei einer amerikanischen Internetfirma als Programmierer – «hier kann ich schaffen, wieviel ich will und von wo aus ich will.»
Entsprechend flexibel sieht Raphael Voellmys Tagesablauf aus: «Nach dem Kaffee am Morgen – das ist das Wichtigste für mich - überlege ich, ob ich daheim oder lieber vom «Chez Marion» am Predigerplatz aus schaffen gehe. Dann sitze ich dort eigentlich den ganzen Tag vor dem Computer.»

Ein Nerd?
Es gibt einen Begriff für eingefleischte Computerfreaks: Nerd. Raphael Voellmy kennt ihn: «Ein Nerd ist ein Mann, der nie hinausgeht, unsportlich ist, eine Hornbrille trägt, keine sozialen Kontakte hat und den ganzen Tag vor seinem Computer hockt.» Und er kann diese Beschreibung einigermassen genüsslich zitieren, weil all dies auf ihn nicht zutrifft. Ausser natürlich seiner Faszination für den Computer: «Ich sitze schon sehr oft vor dem Bildschirm.» Allerdings weniger in seiner winzigen, spartanisch eingerichteten Wohnung im Niederdorf mit WC auf halber Treppe, sondern gleich um die Ecke, eben im «Chez Marion». Hier ist Raphael Voellmy Stammgast, hier arbeitet er an seinem Laptop. Und alle 14 Tage trifft er sich im «Kafi Schoffel» mit Freunden zum «Bitcoin Meet-up».Dort kann man übrigens bereits heute mit Bitcoins zahlen.

Mister Bitcoin
Bitcoins gibt es seit 2009. Raphael Voellmy war von Anfang an dabei. Als «Mr. Bitcoin der Schweiz» wurde er auch schon tituliert.
«Bitcoins», so Raphael Voellmys Erkärung, «sind eine elektronische Währung, die nicht von einer zentralen Instanz herausgegeben wird, sondern nur virtuell vorhanden sind und auf Tausenden von Computern, die dezentral auf der ganzen Welt verteilt sind, laufen. Von diesem Netzwerk von Computern werden sie ausgeschüttet und nach dem Zufallsprinzip, also fair, an die einzelnen Computer verteilt.» Bezeichnenderweise hat sich für diesen Prozess ein Begriff aus der Goldgräberzeit durchgesetzt, nämlich das «Mining».
Ein völlig neues, weltweit einsetzbares und extrem schnelles Zahlungsmittel, unabhängig vom traditionellen Bankensystem. Jeder Mensch kann es benutzen, ohne sich registrieren lassen zu müssen.
Wenig erstaunlich, dass die Banken darauf mit Ablehnung und die zuständigen Finanzaufsichtsbehörden auch in der Schweiz mit einigem Misstrauen reagierten. Die FINMA , die «Eidgenössische Finanzmarktaufsicht», zitierte 2012 denn auch Raphael Voellmy zu einer Anhörung nach Bern. Sie mögen dort etwas gestaunt haben, als da bei ihnen ein 23 jähriger Informatikstudent antrabte…
Das war 2012. Heute, nur drei Jahre später, hat sich das «Mining» grundlegend geändert: «Früher ging man in einem Computerladen und kaufte sich Teile zusammen, um Bitcoins zu ‹minen›. Alle hatten Zugriff auf die gleiche Hardware. ‹Fair game› war das.» Inzwischen ist auf diesem Markt das grosse Geld eingestiegen. Und nutzt einen ganz einfachen Grundsatz der Bitcoin-Produktion: «Je höher die Rechenleistung, desto grösser die Chance, dass man vom Computernetzwerk nach dem Zufallsprinzip Bitcoins erhält. Aber das erfordert natürlich ständig Investitionen in neuste Technologie und zwar in Millionenhöhe. Für kleine Leute wie mich ist es heute unmöglich, Bitcoins herzustellen. Man kann sie nur kaufen oder dafür arbeiten.» Raphael Voellmy findet das «schade, denn das war nicht die Idee.»
Von der Verwendung der Bitcoins, ihrem Gebrauch als einem weltweit einsetzbaren und extrem schnellen Zahlungsmittel, ist Raphael Voellmy allerdings weiter absolut überzeugt. «Allerdings», Raphael Voellmy ist Realist, «wäre es übertrieben zu sagen, dass sich die Bitcoins im Zahlungsmarkt bereits durchgesetzt haben. Im Vergleich zu den Kreditkarten ist ihr Anteil verschwindend gering.» In Zürich kann man im «Kafi Schoffel» seinen Sandwich mit Bitcoins zahlen oder sich bei «lieferservice.ch» Pizza bestellen.

Hirnrissig und faszinierend
«Computerfreak» ist für Raphael Voellmy kein Schimpfwort. Von den Möglichkeiten der Informationstechnologie ist er überzeugt. Er findet sie «spannend» und «faszinierend». Einerseits. Andererseits sieht er aber durchaus auch deren problematische Seite. Ein Beispiel nennt er: «In New York kommen die Internetkabel in einer Schaltzentrale an. Neben diese haben sich ‹high speed concentreders› angesiedelt. Und die nutzen die Langsamkeit der Lichtgeschwindigkeit.» Das klingt auf den ersten Blick absurd, aber auch Licht braucht Zeit. «Wenn nun», so Raphael Voellmy, «einer dieser ‹high speed concentreders› 50 Meter neben der Schaltzentrale angesiedelt ist, dann bekommt er seine Informationen ein bisschen eher, als einer, der 100 Meter davon entfernt ist. Und dieser Vorteil wird genutzt, um daraus Geld zu machen.» Raphael Voellmy findet das «hirnrissig, weil es keinen Nutzen bringt, sondern nur Wert von anderen Leuten zieht.» Seiner Faszination für den technischen Vorgang an sich allerdings tut das keinen Abbruch: «Die arbeiten mit Mikrosekunden, das ist die Formel 1 der Informatik.»

Lust am Spielen
Ob Raphael Voellmy nach seinem Bachelor noch das Masterstudium folgen lässt, weiss er noch nicht. Wie so oft wägt er das «einerseits» mit dem «andererseits» ab: «Einen Master in Informatik braucht man sicher, um später einmal vielleicht Projektleiter in einem Informatikteam einer Grossbank zu werden. Andererseits programmiere ich sehr gerne. Das macht mir mehr Spass, als das Studium an der Uni.» Und zum Programmieren braucht es neben aller Wissenschaftlichkeit vor allem Kreativität und eben die Lust am Spielen.

Martin Kreutzberg 2016