Nora Barnacle und James Joyce

Heute gilt es als gesichert: Ohne Nora Barnacle keine «Dubliners», kein «Ulysses» und kein «Finnegans Wake». Zu Lebzeiten beider war das anders. Dort das Genie, umgeben von einer Schar von Bewunderinnen und Bewunderer, hier die Frau vom Lande, sinnlich, aber ungebildet. Ein Klischee der üblichen Sorte.

Kennengelernt haben sich beide im Sommer 1904 in Dublin. Knappe drei Monate später besteigen der 22 jährige James Joyce und die 20 jährige Nora Barnacle ein Schiff und verlassen Irland.
Vor beiden liegt ein unstetes Leben im Exil, ein Leben zwischen Triest, Rom, Paris und Zürich. Immer geprägt durch Geldmangel und Existenznot. Oft ist die Familie, zwei Kinder hat das Paar inzwischen, auf den Verdienst ihrer Arbeit als Wäscherin angewiesen. 1920 erscheint «Ulysses». James Joyce ist mit einem Schlag weltberühmt. An ihren finanziellen Verhältnissen ändert das wenig. Denn der Schriftsteller wird zwar hoch gelobt, seine Bücher werden aber wenig gekauft und noch weniger gelesen. Die Aufführung seines Stückes «Verbannte» in München erhält gute Kritiken, wird aber schnell wieder abgesetzt.
1931 heiraten Nora Barnacle und James Joyce, 27 Jahre nachdem sie gemeinsam aus Irland aufgebrochen sind. Die Familie Barnacle Joyce lebt jetzt hauptsächlich in Paris. Die enge Verbindung zu Zürich, der Stadt, die ihnen während des 1. Weltkrieges zum Zufluchtsort geworden war, bleibt allerdings immer erhalten.
1940 fliehen sie vor den anrückenden deutschen Truppen von Paris aufs Land, nach St. Gérand. Doch auch fühlen sie sich nicht sicher. Nora Barnacle und James Joyce versuchen, wieder in die Schweiz zu kommen. Zunächst ohne Erfolg. 20.000 Franken verlangen die Schweizer Behörden als Garantie – für den inzwischen zwar berühmten Dichter eine unbezahlbare Summe. Erst als Schweizer Freundinnen und Freunde das Geld sammeln und auf einer Schweizer Bank deponieren, wird ihnen die Einreise gestattet. Sie verlassen Frankreich mit nichts als den Ausweispapieren, einigen Koffern und dem Fahrrad ihres Enkels. Das allerdings konfisziert der Schweizer Zoll an der Grenze, da Joyce die Zollgebühr nicht bezahlen kann.
Einen Monat später stirbt James Joyce in Zürich an einem durchgebrochenen Magengeschwür. Beerdigt wird er auf dem Friedhof Fluntern. Eine der Abschiedsreden hält Lord Derwent, der britische Gesandte in Bern: «Bei all dem Unrecht, das England auf Irland gehäuft hat, wird Irland gewiss nicht müde werden, die dauerhafte Rache zu geniessen, Meisterwerke der englischen Literatur zu produzieren. Noras Abschiedsworte an seinem Sarg sind kürzer: «Jim, wie schön du bist.»
Nora Barnacle Joyce steht jetzt völlig mittellos da. Als erstes verlangen die Zürcher Freunde die Rückzahlung der Garantiesumme. Sie haben für James Joyce gezahlt, nicht auch für seine Frau. Im Februar 1941 verschicken Freunde von Joyce einen Brief an amerikanische Joyce-Verehrer. «Können Sie zum Unterhalt vom James Joyce’ Angehörigen beitragen? Noch die kleinste Summe ist willkommen …
Ausserdem gibt es in Zürich eine Ehefrau, um die es sich zu kümmern gilt …»
Nur sehr wenige der Joycianer sind bereit, Nora zu helfen. Hulda Zumsteg, die Besitzerin der «Kronenhalle» gehört dazu. Nora Barnacle kann jederzeit gratis bei ihr essen.
Fast täglich besucht Nora Barnacle das Grab von James in Fluntern. «Ich denke mir oft, der Friedhof muss ihm doch gefallen, auf dem er liegt. Es ist sehr nah beim Zoo und man kann die Löwen brüllen hören.»
1951 stirbt Nora Barnacle. Neben James Joyce ist auf dem Friedhof kein Platz für sie. Erst 15 Jahre später erhalten Nora Barnacle und James Joyce ihr gemeinsames Grab auf dem Friedhof Fluntern.

Martin Kreutzberg