Küngolt Heim-Aebli
KolumnistinMan kennt sie in Fluntern. Obwohl sie keine Nachbarin ist. Denn über fünf Jahre schrieb sie die Kolumne in der Zeitschrift «Fluntern»: Küngolt Heim-Aebli.
Das weit verbreitete und mitunter mit einem gewissen Genuss betriebene Klagen über die Widrigkeiten des Alltags ist ihr fremd. Ebenso die andere Seite der Medaille: Das Verdrängen der Probleme. Küngolt Heim-Aebli ist Pragmatikerin. Sie gehört zu jenen Menschen, auf die der oft leicht dahin gesprochene Satz «Probleme sind da, um gelöst zu werden» absolut zutrifft.
Kinderparadis Neubühl
Aufgewachsen ist Küngolt Aebli im Neubühl. Anfang der dreissiger Jahre bauten die jungen Architekten Rudolf Staiger, Werner Max Moser und Ernst Haefeli, beeinflusst vom «Bauhaus» die Werkbundsiedlung Neubühl in Wollishofen – eine Genossenschaft von 121 Häusern mit Flachdach. Neu und ungewöhnlich für die Schweiz. Küngolt Heim-Aebli erinnert sich noch heute gut an die Bedenken von damals: «Das wird nie halten. Nun, es hat gehalten, was man bei neuen Häusern nicht unbedingt sagen kann.»
Heute gibt es eine lange Warteliste von Bewerbern für eine Wohnung im Neubühl, damals, man mag es kaum glauben, waren die Häuser und Wohnungen in der Siedlung schwer zu vermieten. Es gab extra einen «Tag der offenen Tür», um Mietwillige für die Siedlung zu finden. Küngolt Aeblis Mutter gehörte zu ihnen. «Sie war begeistert und hat sofort gemietet.» Vorher musste sie aber noch ihren Mann davon überzeugen, sich in Zürich eine neue Stelle als Lehrer zu suchen … Die Zielstrebigkeit und Überzeugungskraft der Frauen hat in dieser Familie Tradition.
Es waren junge Architekten, Maler, Grafiker und Musiker, die ins Neubühl zogen. Dazu kamen nach 1933 – viele Wohnungen standen noch immer leer – Emigranten aus Deutschland. Die Liste der ersten Bewohner und Bewohnerinnen des Neubühl ist beindruckend: Wilhelm Hoegner, später Ministerpräsident von Bayern, Arthur Koestler, dessen «Sonnenfinsternis» noch heute zu den Standardwerken kritischer Auseinandersetzung mit dem Stalinismus zählt, Max Bill, Leopold Lindtberg oder Hans Einstein, der Sohn Albert Einsteins.
Diese Namen sagten der jungen Küngolt Aebli damals gar nichts. In Erinnerung geblieben ist anderes: Etwa, wie die kleinen Buben der Einsteins, «ohne einen Faden am Leibe», durch die Siedlung laufen konnten, dass Ernst Ginsbergs Sohn «einfach zu uns kam, sich ans Klavier setzte und drauflos hämmerte», und dass die Frau des späteren Nobelpreisträgers Reichstein, eine Indonesierin, lange, farbenprächtige Hosen trug. «Das war damals noch gar nicht in Mode. Wir Kinder haben das wunderbar gefunden.»
Etwas anders sahen es die Nachbarn aus Wollishofen. Die «Neubühler» waren für sie «komische Leute: Im Alltag elegant gekleidet und am Sonntag sportlich.»
Es war eine einmalig anregende Atmosphäre. Damals in der Siedlung «Neubühl» in Wollishofen.
Küngolt Aebli hat sie geprägt.
Die Damen mit den grossen Hüten
Für Küngolt Aeblis Eltern, beide Lehrer, war es selbstverständlich, dass die Kinder, Küngolt Aebli hatte noch eine Schwester und einen Bruder, eine gute Ausbildung erhielten und, wenn sie es wollten, auch studieren konnten.
Küngolt Aebli ging an der «Töchti» ins Gymnasium und studierte nach der Matura an der Uni Zürich Englisch und Germanistik. Letzteres bei Emil Staiger, dem Star der Zürcher Literaturszene. Seinerzeit war die Studentin begeistert von ihrem Professor. Heute fällt ihr Urteil differenzierter aus: «Im Hörsaal sassen in den ersten Reihen die Damen vom Zürichberg, die mit den grossen Hüten. Dozentinnen gab es nicht und schon gar keine Professorinnen.» Und sie erinnert sich an ihre Mutter. «Sie war mit Leib und Seele Lehrerin. Während der Wirtschaftskrise musste sie ihren Beruf aufgeben. Frauen sollten den Männern nicht die Arbeit wegnehmen. Meine Mutter hat ihr Leben lang darunter gelitten. Haushalten fand sie grässlich.» Die Leidenschaft fürs Lesen hat Küngolt Aebli von beiden Eltern geerbt. Ihren ungewöhnlichen Namen verdankt sie der Novelle «Dietegen» von Gottfried Keller und das Lieblingsbuch der Mutter ist bis heute auch ihres: Theodor Fontanes «Frau Jenny Treibel».
Heute studieren alle ihre Enkeltöchter. Küngolt Heim-Aebli findet das nicht der Erwähnung wert. Die Zeiten ändern sich.
Der Student aus Fluntern
Fluntern hatte die junge Küngolt Aebli von Wollishofen aus zwar täglich im Blick, aber sonst gab es für sie keine Beziehung zu diesem Teil Zürichs. Das änderte sich radikal, als die Germanistikstudentin Küngolt Aebli den Medizinstudenten Urs Heim kennenlernt, der am Zürichberg aufgewachsen war. Die beiden beschliessen zu heiraten. Die katholische Kirche in Wollishofen gefällt Küngolt Aebli gar nicht. Dafür St. Martin in Fluntern. Der Pfarrer hier ist nicht begeistert. Eine Studentenehe! «Ob wir denn genügend Geld hätten, um seine Kirche für die Hochzeit würdig zu schmücken? Ja, so um die hundert Franken. Da ist er fast umgefallen.» Weil die Trauung aber von einem Pater aus dem berühmten Kloster Einsiedeln vollzogen werden sollte, konnte er sich nicht weigern. Am Hochzeitstag in St. Martin gab es dann eine riesige Überraschung für das Brautpaar. Die Kirche war übervoll von prächtigen Lilien. Des Rätsels Lösung: Nach ihnen heiratete eine Mitarbeiterin der Gärtnerei Bietenholz aus Fluntern und der Blumenschmuck war ein Geschenk an sie.
Bald nach der Hochzeit kamen die Kinder. Eines nach dem anderen, insgesamt sieben. Und die Beziehung zu Fluntern wurde enger. Die Grosseltern ihres Mannes, Marie Heim Vögtlin und Albert Heim, hatten am Zürichberg ein Chalet gebaut, in das sie jeden Sommer umzogen. Im «Hüsli» wohnte inzwischen die Tante von Urs Heim, Helene Heim mit ihrer Freundin. Beide Kinderkrankenschwestern. Praktisch für die junge Mutter: «Fünf Monate nach jeder Geburt», berichtet Küngolt Heim-Aebli, «nachdem ich den Säugling abgestillt hatte, brachte ich ihn ins Hüsli zu Tante Helene. Die beiden Frauen haben geschwärmt für die Babys und ich konnte mit meinem Mann in die Ferien fahren.»
Betten auf Rädern
Es ist ein grosses Thema in Zürich: Der knappe Wohnraum für Familien. Das kommentiert Küngolt Heim-Aebli nüchtern: «Man lebt heute eben auf grösserem Fuss. Wir wohnten damals mit zwei Kindern in zwei Zimmern. Mein Mann verdiente als Assistenzarzt 350 Franken im Monat, ich gab als Englischlehrerin abends Stunden. Es hat gereicht. Es war ganz selbstverständlich, dass man mit dem auszukommen hatte, was da war.» Für die Kinder baute der junge Vater Betten auf Rädern, die dann in der kleinen Wohnung jeweils dorthin geschoben wurden, wo gerade Platz war. «Ich habe das nie als Einschränkung empfunden.»
Wie gesagt: Küngolt Heim-Aebli ist eine Pragmatikerin und Probleme sind da, um gelöst zu werden. Möglichst auf direktem Wege.
Peterli und seine Geschwister
So wurde sie auch zur Kolumnistin der Zeitschrift «Die Frau». Als Mutter einer Grossfamilie wusste sie, dass sie den Leserinnen etwas mitzuteilen hatte, was diese interessieren konnte. «Ich habe der Redaktorin geschrieben, ob ich einfach mal bei ihr vorbeischauen könnte.» Aus dem «einfach mal vorbeischauen» wurden 15 Jahre Mitarbeit.
Von 1955 bis 1970 schrieb Küngolt Heim-Aebli die Kolumne «Peterli und seine Geschwister». An Themen mangelte es ihr nie: «Die wurden mir von meinen Kindern geliefert.» Etwas mehr Probleme bereitete ihr die lange Vorlaufzeit der Zeitschrift. Die Manuskripte mussten drei Monate vor dem Erscheinen abgeliefert werden. «In Rimini schrieb ich, während die Kinder Schwimmen lernten, am Strand meine Weihnachtskolumne.»
Küngolt Heim-Aeblis Kolumne wurde zu einem Renner, für viele Frauen ein praktischer Ratgeber im Alltag. Sie selbst meint, dass der Erfolg der Kolumne den Illustrationen von Hanny Fries zu verdanken gewesen sei. Man kann sein Licht auch unter den Scheffel stellen…
Ich bin eine Zürcherin
Seit 2007 schrieb Küngolt Heim-Aebli die Kolumne «Die Ecke der Alten» in der Zeitschrift Fluntern: Präzise, knapp, bisweilen, wie es sich für eine Kolumne gehört, zugespitzt, auch ironisch, immer geprägt von einer immensen Lebenserfahrung.
Sie hat an vielen Orten der Schweiz gelebt. Die Frage, welchen Ort sie denn als ihre Heimat empfindet, beantwortet sie mit einer spontanen Liebeserklärung an Zürich: «Ich bin eine Zürcherin.» Und präzisiert das nach kurzer Überlegung: «Es ist weniger die Stadt, es sind zuerst die Erinnerungen an eine glückliche Kindheit.»
Im Juni 2014 ist Küngolt Heim-Aebli im Alter von 91 Jahren gestorben.
Martin Kreutzberg