Hans Vontobel

Bankier, Mäzen, Fluntermer

«Eigentlich müsste ich einmal etwas über meinen Weg zur Arbeit schreiben. Er ist so schön», sagte Dr. Hans Vontobel. Wir warteten aufs Tram und unterhielten uns über Fluntern. «Ja, bitte tun Sie das», sagte ich sofort. Tatsächlich! Eine Woche später lag ein schönster, druckfertiger Beitrag in meinem Briefkasten. Ich legte ihn zu meinen «Vorräten», denn die kommende Ausgabe war bereits ausgeplant. Nach ihrem Erscheinen rief die Sekretärin von Dr. Vontobel an: Wo bleibt der Beitrag von Herrn Dr. Vontobel? Ich: «Der ist mein bester Notvorrat!» Frau Pedracini schmunzelte sichtbar durchs Telefon: «Oh je. Das ist nicht ganz im Sinn von Herrn Dr. Vontobel! Er wartet nicht gern.» Ich lernte dazu.
Und Dr. Vontobel blieb Fluntern gegenüber zeit seines Lebens ein wunderbar grosszügiger, liebenswürdiger Gönner.

Regine Kretz


Auf dem Weg zur Arbeit
Der blühende Birnbaum im Garten lädt zum Verweilen ein. Er tut mit seinen zarten, weissen Blüten kund, dass Frühling ist, und wenig später verraten die kleinen Früchte den beginnenden Sommer.
Erste Schritte des täglichen Arbeitsweges, die am blühenden Judasbaum, dem Feigenstrauch, angeschmiegt am Gemäuer der Universität und schliesslich an jenem unerwarteten japanischen Exoten vorbeiführen, dem das Klima des städtischen Steueramtes zu behagen scheint. Grund zum täglichen Staunen, was wohl nur dem Fussgänger in seiner geruhsameren Gangart möglich ist.
Zürich mit seinen offenen und verborgenen Schönheiten immer wieder kennenzulernen, ist ein Geschenk. Auch andere Grossstädte, selbst New York oder Tokio, haben ihre heimlichen Reize, wenn man zur Besichtigung stille Stunden des Wochenendes wählt. Aber Zürich ist überblickbarer, und der Zürichberg beherbergt – ganz anders als dies ein vereinfachender, politisch verfärbter Journalismus oft darstellt – Menschen verschiedenster Herkunft. In der Durchmischung lag schon immer die Chance der Limmatstadt, die Zuzüger aus dem Ausland mit offenen Armen aufnahm und von diesen in mannigfaltiger Weise profitieren durfte.

Von der ersten Banknoten…
Der Fussmarsch zur Arbeit braucht freilich etwas Zeit. Er verschafft aber auch die Möglichkeit nachzudenken, Problemen nachzuhängen, sich der umgebenden Natur zu erfreuen und sich beim Passieren von Strassen, Plätzen und Brücken früherer Zeiten zu erinnern. Solch verlockende Möglichkeiten lassen leichten Herzens auf die Benützung der Strassenbahn verzichten…
Wenn der Weg aus dem ehemaligen Weinbauerndorf zur „Platte“ führt, rufen sich nicht nur die alten Wirtschaften mit den Pauksälen, (wo verbotenerweise Mensuren ausgetragen wurden) in Erinnerung, sondern auch jene Seidenweberei, die J.H. Pestalozzi kurz vor der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert leitete. Dem historisch interessierten Bankier ist dieser Ort bedeutungsvoll, wurden doch hier in der Kupferdruckerei von Heinrich Feh die ersten Banknoten für den Kanton Zürich hergestellt. Ein gutes Dutzend Frauenpensionen gaben dem Plattenquartier seinen besonderen Charakter; Zürich war für sein ‚freies Klima‘ bekannt….

…zu den Waschfrauen
Das ehemalige «Chratzquartier» bildet den Abschluss der täglichen Wanderung. All die baufälligen Häuser, die Schuppen und die übelriechenden engen Gassen sind verschwunden und haben einer grosszügigen Überbauung Platz gemacht. Doch ein Projekt des 1848 aus Dresden geflüchteten Architekten Gottfried Semper, der als Erbauer der ETH berühmt wurde und später Zürich verärgert verliess, ist nie Wirklichkeit geworden: Ein neues, grosszügiges Rathaus an dieser Stelle. Stattdessen hat die Schweizerische Nationalbank später hier ihren Sitz bezogen. Es ist jener Raum, wo die Wachfrauen am alten Stadtgraben und gegenüber an der Limmat ihre schmutzige Wäsche wuschen.

Dr. Hans Vontobel auf Anregung von Regine Kretz