Gilles Aubert

Leiter eines Jugendtreffs, Student

Von der Historikerin über den Chefredakteur, die Lehrerin, den Regisseur, die Schauspielerin, den Sigrist bis hin zum Zügelunternehmer – all diese Fluntermer können von einem eindrucksvollen Berufs- und Lebenswerk berichten Gilles Aubert noch nicht. Verständlich, er ist noch keine 30 Jahre alt.

Aufgewachsen ist Gilles Aubert in einem der drei Häuser der ABZ Siedlung am Anfang der Hochstrasse in Fluntern. Für Kinder muss es ein kleines Paradies gewesen sein. Zusammen spielen, nach und nach die eigene Umgebung entdecken, die Schule direkt gegenüber, Eltern, die engen Kontakt miteinander haben. Einmal sind sie sogar gemeinsam in die Ferien gefahren. Eine Familie hatte die Idee, spontan schlossen sich andere an und schliesslich fand sich «die ganze Nachbarschaft auf einem Campingplatz in Kroatien» wieder.
Mit dem Ende der Primarschule stand auch für Gilles Aubert die Entscheidung an: Gymnasium oder Sekundarschule? «Im Schulhaus Fluntern war es eigentlich normal, dass man ins ‹Gymi› gehen wird», erinnert er sich. Viele seiner Schulkollegen besuchten zur Vorbereitung auf die «Gymiprüfung» sogar spezielle Kurse. Gilles Aubert entschied sich für die Sekundarschule. Und machte dabei seine ersten sozialen Erfahrungen. «Ich habe das sehr zu spüren bekommen, ich und meine Kollegen, die in die Sekundarschule gehen wollten.» Und er erinnert an Sprüche von damals: «Ach, ihr geht in die ‹Sek›, was wollt ihr denn mal werden? Putzmann?» Wie reagiert ein Zwölfjähriger auf so etwas? «Fair» findet Gilles Aubert das auch heute noch nicht. Andererseits bringt er eine gewisses Verständnis dafür auf: «Der Druck ist eben in Fluntern enorm hoch. Auch im Jugendtreff merke ich das. Am meisten beschäftigt die Kinder und Jugendlichen der Leistungsdruck in der Schule.»
Gilles Aubert jedenfalls blieb damals bei seinem Entschluss, absolvierte die Sekundarschule und wechselte danach ins Gymnasium Stadelhofen. Nach der Matura suchte er sich, anders als viele seiner Mitschüler, bei denen zu der Zeit eine grosse Reise fast schon obligatorisch ist, zunächst einen Job. Um Geld zu verdienen. Ein Jahr arbeitete er im Service. Trotz schlechter Arbeitsbedingungen und mieser Bezahlung war es für Gilles Aubert eine sinnvolle Zeit. «Ich musste mit Leuten zusammen arbeiten, auf die ich sonst nie getroffen wäre.» Für einen Studenten der Geschichte, ein Studienfach, das er zunächst wählte, vielleicht nur eine Episode, für einen der Sozialwissenschaften, wohin Gilles Aubert bald wechselte, dagegen eine nützliche Erfahrung. Soziologie studiert er heute mit dem Schwerpunkt «Stadtentwicklung und Aufwertung von Quartieren».

Vom Nutzen der Pfadi
Kinder finden Fluntern wunderbar. Im Jugendalter setzt Distanz ein. Es ist nichts los im Quartier, langweilig. In der Folge orientieren sich viele nach ausserhalb. Gilles Aubert nicht. Er hat immer im Quartier gelebt. Zuerst an einem Ende der Hochstrasse, dann am anderen. Ziemlich genau dazwischen liegt der Jugendtreff im «Lokal». Der wurde für ihn zu einem wichtigen Bezugspunkt. Bis er 17 Jahre alt war. Dann fühlte er sich zu alt für den Jugendtreff. Aber er blieb weiter im Kontakt. Und als das LOKAL für die Leitung des Jugendtreffs eine Schwangerschaftsvertretung suchte, stieg er ein. «Bei der ‹Pfadi› hatte ich gemerkt, dass ich so etwas sehr gerne mache: anreissen, organisieren, ausprobieren.» Aus der Vertretung wurde etwas Festes und seit 2011 leitet Gilles Aubert den Jugendtreff an der Voltastrasse.

Nichts müssen müssen
Der Jugendtreff ist während der Schulzeiten jeden Mittwoch und Freitag geöffnet. Er liegt im Keller unter dem «Lokal». Der Raum ist natürlich ordentlich geputzt, es gibt einen Töggelikasten, einen Billardtisch, eine kleine Bar, eine Tonanlage. Auch Filme können gezeigt werden. Kiffen, Rauchen und Alkohol sind strikte verboten. Nichts vorhanden also, was Eltern davon abhalten könnte, ihre Kinder in den Jugendtreff gehen zu lassen. Im Unterschied zum prallen Angebot oben im «Lokal» gibt es unten im Jugendtreff zwar ab und an einen Barkeeper- oder Schminkworkshop, sonst aber kein festes Programm.
Ein Programm hat Gilles Aubert schon, aber eines, das sich nicht in einer Abfolge fester Veranstaltungen manifestiert. So vermeldet die Webseite des Jugendtreffs zwar «Sorry, no events», aber «events» wären, so Gilles Aubert, nicht das, was die Jugendlichen von ihrem Treff erwarten: «Was sie schätzen, ist ein offener, unverbindlicher Charakter. Denn viele Jugendliche haben heute mit Sportverein, Musikunterricht oder der ‹Pfadi› ein strenges Programm.» Dazu käme der grosse Leistungsdruck in der Schule. So stehen denn Fussballspielen auf der Siriuswiese, Grillieren und vor allem das miteinander reden im Zentrum. Ein «gutes Gespräch» ist für Gilles Aubert ganz wichtig. Seine Funktion sieht er dabei vor allem als die eines Zuhörers. «Ich bin der, dem sie alles erzählen können, aber weder Kumpel noch Lehrer. Das will ich nicht sein.»

Zwölf- bis Fünfzehnjährige, die vor allem einen Ruhepunkt suchen, an einen Jugendtreff zu binden – keine ganz einfache Aufgabe für Gilles Aubert, noch keine 30 Jahre alt.

Martin Kreutzberg