Friedrich Hegar

In den Jahrzehnten von 1863 bis zum ersten Weltkrieg 1914 prägte Friedrich Hegar als Geiger, Bratschist, Kapellmeister, Sängervater, Komponist, Musikpädagoge und begnadeter Organisator das Zürcher Musikleben. 1875 wollte ihn seine Heimatstadt Basel an den Rhein zurückholen. Die Sängerin Emilie Heim – Gattin des mit dem «Heimplatz» geehrten Sängervaters – fand energische Worte: «Sie dürfen uns nicht verlassen, Sie dürfen nicht fort von Zürich! Was sollte aus dem ganzen musikalischen Leben und Streben hier werden, ohne Sie, ohne die Seele desselben. Wie miserabel waren die Leistungen hier auf dem Gebiet der Tonkunst, bevor Sie den Feldherrenstab ergriffen, wie gleichgültig das Publikum.» Zur allgemeinen Erleichterung der Musikliebhaber/innen blieb der damals erst 34 jährige «Feldherr» in Zürich.

Friedrich Hegar war 1841 in einer aus Darmstadt nach Basel eingewanderten Musikerfamilie zur Welt gekommen. 1857 bis 1869 studierte er am Konservatorium Leipzig. 1863 holten die Zürcher den hoffnungsvollen jungen Violinisten als Konzertmeister des neu gegründeten Orchestervereins an die Limmat. Den Einstieg in die Dirigentenlaufbahn schilderte Hegar bei seinem Abschied von der Tonhalle 1906 mit dem ihm eigenen Humor: «Das Leben eines jeden Menschen besteht aus einer Reihe von Begebenheiten, die manchmal, wie uns scheint, in geordneter Entwicklung, eine aus der andern entstehen; die sich häufig aber sprunghaft, unvorbereitet, überraschend, einstellen. Mein hiesiger Amtsantritt gehörte zu der letzteren Art. Mein Vorgänger war im Theater während eines Zwischenaktes in eine Versenkung gefallen, und ich musste als Konzertmeister die Vorstellung zu Ende dirigieren. Da nicht alles ausser Rand und Band geraten war, so machte man später auch einen Versuch im Konzert mit mir, der dann die Ihnen bekannten Folgen hatte.» Das Amt des Kapellmeisters umfasste damals vielfältige Aufgaben: So hatte er bei Opernaufführungen persönlich die Bühnenaufbauten zu kontrollieren, «multitasking» hiesse inzwischen ein solcher Auftrag.
In den Jahrzehnten seines Wirkens bewältigte Hegar ein kaum mehr vorstellbares Pensum. Neben vielem anderen war er die treibende Kraft hinter der Gründung der Musikschule (ab 1906 Konservatorium), die er von 1876 bis 1915 leitete. - Die Vernetzung unter Musikern sowie die Unterstützung des zeitgenössischen Musikschaffens waren ihm ein stetiges Anliegen. So präsidierte er den von ihm 1900 gegründeten schweizerischen Tonkünstlerverein, der auch im 21. Jahrhundert jedes Jahr ein Tonkünstlerfest mit zeitgenössischer Musik organisiert.
Hegar förderte das im 19. Jahrhundert sehr populäre Singen und wies dem Chorgesang – auch mit eigenen Kompositionen – neue Wege. 1865 bis 1901 leitete er den Gemischten Chor, 1865 bis 1867 den Stadtsängerverein, 1875 bis 1878 sowie 1886 bis 1887 den Männergesangsverein Harmonie und 1891 bis 1896 den Lehrergesangsverein. Während Jahrzehnten war Hegars Oratorium «Manasse» im deutschen Sprachraum eines der meist aufgeführten Chorwerke.
Zwar erfuhr die Orchestermusik in Zürich unter Hegars Leitung einen beachtlichen Aufschwung, doch fehlte ein Konzertsaal, der professionellen Ansprüchen genügte. Nach langen Querelen wurde 1895 am jetzigen Standort die neue Tonhalle eingeweiht (der Vorgängerbau befand sich auf der «Sechseläutewiese»). Zur Feier des Tages dirigierte Hegars Freund Johannes Brahms (1833 bis 1897) ein «Triumphlied.» Im Deckengemälde der Tonhalle schaut übrigens Johannes Brahms bis heute Beethoven und Wagner über die Schultern auf das Publikum hinab. Moderne Konzertbesucher/innen gehen mit Hegar einig, der 1906 erklärte: «Jetzt war endlich das erreicht, was wir so lange vergeblich erhofften: Wir haben einen Saal, in dem es herrlich klingt, in dem Mühe und Arbeit belohnt werden.» Dank Hegars internationalen Beziehungen traten bekannte Persönlichkeiten wie Clara Schumann, Max Bruch oder Richard Strauss im neuen Konzertsaal auf. Er selber stand bei der Zürcher Erstaufführung zahlreicher Werke Bachs oder Beethovens am Pult.
Die Öffentlichkeit anerkannte dankbar seinen Einsatz für das Zürcher Musikleben. 1885 schenkte ihm die Stadt Zürich das Bürgerrecht, 1889 verlieh ihm die Universität den Doktorhut ehrenhalber und schon zu Lebzeiten wurde eine Strasse nach ihm benannt.
Im persönlichen Leben blieben Schicksalsschläge nicht aus. Hegars erste Gattin, die Sängerin Susanne Albertina Volkart, starb in jungen Jahren. 1896 heiratete er deren Freundin Karoline Julie Bolley, die an seiner Seite im Familiengrab auf dem Friedhof Fluntern liegt.

Verena E. Müller