Felix E. Müller
JournalistEin Nachbar ist er nicht. Er stammt aus Winterthur und wohnt in Höngg. Seine Verbindung mit dem Quartier ist dennoch eng. Einerseits durch seine Frau, Franziska Widmer, die aus Fluntern stammt sowie durch seinen Schwager Lukas Widmer, der immer noch hier wohnt, und andererseits durch sein temporäres, aber sehr originelles originelles Ehrenamt eines Zunftmeisters der Zunft Fluntern.
Felix E. Müller formuliert präzise, differenziert, mitunter auch vorsichtig. Und er hat Spass am Formulieren. Etwa, wenn er im Zusammenhang mit den Zürcher Zünften von einer «retroaktiven Kreation von Traditionen» spricht. Ein Intellektueller. Dass Felix E. Müller lange Hallenhandball gespielt hat, eine der härtesten Sportarten, würde man nicht vermuten. Auf den ersten Blick.
Und so liest sich der Lebenslauf von Felix E. Müller: Matura, Studium, Promotion, Nachdiplomstudium in den USA, Journalist beim «Züri Leu», dann stellv. Chefredakteur bei der «Weltwoche», später Redakteur bei der «NZZ», seit 2001 Chefredakteur der «NZZ am Sonntag».
Beeindruckend geradlinig.
Doch auch hier täuscht der erste Blick. Felix E. Müller konnte sich lange nicht zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften entscheiden. Auch eine Laufbahn als Berufsmusiker wurde erwogen. Sein Wunsch, neben Musikwissenschaft auch Mathematik zu studieren, stellte die Universität Zürich vor Probleme. Derartiges war nicht vorgesehen. Felix E. Müller bestand darauf. Das Ergebnis: Eine Sondergenehmigung des Senats der Uni. Felix E. Müller rückschauend zum Ertrag dieser ungewöhnlichen Kombination: «Ich habe viel gelernt, alles vergessen, geblieben ist eine Disziplin im Denken.»
Entscheidung auf der Treppe
Während seines Studiums arbeitete Felix E. Müller als Deutschlehrer am Literargymnasium und am Gymnasium Winterthur. Ohne Lehramtsausbildung ging das aber nicht auf Dauer. Also musste er sich wohl oder übel für dieses Studium einschreiben. Im ersten Semester konnte er sich noch durchmogeln. Mit Hilfe eines Freundes, der seine Anwesenheit in der Vorlesung dokumentierte. «Dann kam dieses zweite Semester auf mich zu. Ich weiss es noch, als wäre es gestern gewesen. Ich stieg auf der Haupttreppe der Uni zur Aula hinauf. Mitten auf der Treppe habe ich innegehalten, bin wieder hinunter gegangen, habe mich in ein Café gesetzt und meine Pläne, Mittelschullehrer zu werden, begraben.» Statt des sozial abgesicherten Lebenswegs eines Lehrers wählte Felix E. Müller den ungesicherten eines Journalisten.
1977 begann er beim «Züri Leu», der ersten ernsthaften Gratiszeitung der Schweiz, unterbrochen von einem Nachdiplomstudium in Philadelphia,USA. «Rückblickend war der Züri Leu ein visionäres Projekt», so Felix E. Müller heute. Der Erfolg der Zeitung wurde zugleich zu ihrem Verhängnis. 1982 kaufte der «Tagesanzeiger» das Konkurrenzblatt, um es anschliessend einzustellen. «Ich hole mir am Morgen die «NZZ» aus dem Briefkasten, lese sie im Tram auf der Fahrt zur Arbeit, erfahre, dass ich eigentlich nicht mehr arbeiten muss und steige an der Endstation als Arbeitsloser aus.»
Ganz so arg wurde es für Felix E. Müller nicht. Er ging dann als Redakteur zur «Weltwoche», blieb 15 Jahre lang bei dieser Zeitung und wechselte im Jahr 1997 zur NZZ, wo er ab 2000 das Ressort «Zürich» leitete.
Der Griff nach dem Sonntagsleser
Im Jahre 2001 erhielt Felix E. Müller den Auftrag, das Konzept für eine neue Zeitung zu entwickeln: Die «NZZ am Sonntag».
Eine eigenständige Zeitung sollte es werden. Nicht die siebte Ausgabe der «Neuen Zürcher Zeitung». «Wir wollten in der Gestaltung frischer, jünger, moderner sein», so Felix E. Müller rückblickend. «Ich wollte die Zeitung stärker aus der angelsächsischen Tradition heraus positionieren, damit sie sich von der «NZZ» unterscheidet.»
Drei Designerteams wurden zu einem Wettbewerb zur Gestaltung der «NZZ am Sonntag» eingeladen. Eines der Teams kam aus London. Dessen Layoutentwurf gefiel Felix E. Müller auf Anhieb: «Er war ernsthaft, seriös, kompetent, aber nicht unleserlich.»
Zehn Jahre später, im November 2011, wurde die «NZZ am Sonntag» für ihre gestalterische Qualität mit dem renommierten «European Newspaper Award» geehrt, eine Auszeichnung, auf die Felix E. Müller stolz ist.
Von der Wirkung einer Flaschenpost
Der Einfluss des Chefredakteurs einer grossen Zeitung auf die Politik wird erstaunlich unterschiedlich eingeschätzt: Von aussen als extrem hoch, von innen als frustrierend gering. Welche Macht haben also die Schweizer Medien? «Jeder Schweizer Journalist unter 29 Jahren kommt einmal an den Punkt, wo er den Rücktritt eines Bundesrates fordert. Dann schreibt er das mutig hin und nichts geschieht. Nix. Es spielt absolut keine Rolle», so der Chefredakteur der «NZZ am Sonntag». «Ich bin jetzt schon lange in diesem Beruf und kann immer noch nicht die Wirkung, die ein Artikel haben wird, exakt abschätzen. Es ist ein wenig wie bei der Flaschenpost. Man steckt in sie etwas hinein, irgendwo schwemmt es sie an ein Ufer, irgendjemand findet sie und plötzlich kommt ganz viel zurück.» Generell aber schätzt Felix E. Müller den Einfluss von Journalisten auf die Politik als eher gering ein: «Im heutigen Informationslärm meinungsbildend zu wirken, ist schwierig. Auf das grosse Ganze gesehen hat man einen Millimeter grossen Einfluss.» Und er fügt hinzu: «Als junger Journalist überschätzt man seine Arbeit und unterschätzt die Wirkung eines Artikels auf die Biografie eines Menschen. Dessen Karriere kann man vollständig zerstören. Hier haben Journalisten eine sehr grosse Verantwortung.»
So weit, so gut. Andererseits: An jedem Dienstag werden dem Chefredakteur die Verkaufszahlen der letzten Ausgabe und die der Konkurrenzblätter präsentiert. «Ein ziemlich brutales Instrument», weiss Felix E. Müller.
Der Zunftmeister
«Wie wird man Zunftmeister?» Die Antwort kommt prompt: «Indem man gefragt wird und sich nicht zu einem ‚nein’ aufraffen kann.» Seit 2005 war Felix E. Müller der Zunftmeister der Zunft Fluntern.
Als sie 1895 gegründet wurde, war ihr «... die Förderung wichtiger Quartierinteressen» ein Anliegen. Nun ist die Zunft Fluntern in den letzten Jahren nicht durch eine besondere Präsenz im Quartier aufgefallen.
Das war nicht immer so.
1934 führte die Zunft anlässlich des Sechseläutenumzugs auf ihrem Festwagen ein Modell der «Alten Kirche Fluntern» mit und machte so auf deren ungewisse Zukunft aufmerksam. Kommentar von Felix E. Müller dazu: «So etwas würde heute nicht mehr toleriert.»
Anfang der sechziger Jahre erwarb sich die Zunft Fluntern bleibende Verdienste um das Quartier. Sie stand an der Spitze der Bürgerbewegung gegen den Abriss des Vorderbergs, dem «logischen Zentrum von Fluntern» (Felix E. Müller). Seitdem – sieht man von der Anpflanzung einer Eiche zwecks Verschönerung des Quartiers im Jahre 1986 ab – gibt es eine auffallende Abstinenz der Zunft Fluntern gegenüber «wichtigen Quartierinteressen».
Felix E. Müller nennt dafür zwei Gründe. Zunächst einen eher demografischen. Neue Mitglieder der Zunft rekrutieren sich vorwiegend aus den Söhnen der alten. Und diese Söhne leben über Stadt und Kanton verstreut. Nur 30% ihrer 125 Mitglieder wohnen noch in Fluntern. «Da ist es etwas heikel, wenn wir uns direkt in quartierpolitische Auseinandersetzungen einschalten. Was ist unsere Legitimation?»
Der zweite Grund, den Felix E. Müller für die geringe Präsenz der Zunft in Fluntern anführt, ist ein grundsätzlicher. Er betrifft die Zürcher Zünfte generell.
Nachdem sich die gesellschaftliche Funktion der Zünfte Mitte des 19. Jahrhunderts überlebt hatte, erfolgte eine Abkapselung der Zünfte nach aussen und eine Wendung nach innen.
Aus beiden Gründen heraus erklärt Felix E. Müller die eher geringe Verbundenheit seiner Zunft gegenüber dem Quartier, dessen Namen sie trägt. Ein Zustand, den der Zunftmeister selbstkritisch mit «nicht optimal» umschreibt. «Die Zünfte sollten sich Überlegungen machen, wie sie stärker nach aussen auftreten und einen Beitrag zum sozialen und kulturellen Leben Zürichs leisten können.»
Von Schafen und Reben
Einen Ansatz zu grösserer Präsenz der Zunft im Quartier gab es unlängst. Die Idee dazu stammt vom Zünfter und Fluntermer Gärtnermeister Hans Diehl: Der Anbau eines Rebberges auf der Wiese unterhalb der «Grossen Kirche». Und zwar als ein gemeinschaftliches Projekt der evang.-ref. Kirche Fluntern, des Quartiervereins und der Zunft Fluntern. Eine Idee, die bei Felix E. Müller auf fruchtbaren Boden fiel. Denn zu dieser Wiese hat Felix E. Müller eine besondere Beziehung, eine familiäre. Seine Frau wuchs an der Gloriastrasse direkt gegenüber der Wiese auf. Ihren Vater, den alt Stadtpräsidenten Sigmund Widmer, störte es, dass die Wiese zweimal im Jahre für teures Geld gemäht werden musste. Also initiierte er, quasi als permanente Rasenmäher, den Einsatz einiger Schafe. Die Schafe taten ihre Pflicht. Nicht sehr lange allerdings. «Eines Tages», so Felix E. Müller, «kamen fortschrittliche Ökologen und erklärten: ‚Diese Wiese ist eine Magerwiese. Und die Schafe ruinieren das Magere an der Wiese‘. Da mussten die Schafe weg.»
Nun also sollte, anknüpfend an die uralte Fluntermer Weinbautradition, aus dieser Wiese wieder das werden, was sie früher war, ein Rebhügel. Erst stimmte Zürichs Stadtrat begeistert zu, um wenig später seinen eigenen Beschluss zu kassieren. Eine Farce.
Dass man Felix E. Müller also in absehbarer am Kirchrain beim Jäten, Aufbinden und Schneiden der Reben und bei der Wümet antreffen wird, ist recht unwahrscheinlich geworden.
Martin Kreutzberg