Esther Girsberger
Publizistin, Unternehmerin, LokalpatriotinEnde März 2015. Podiumsdiskussion im Saal Kaufleuten. Es geht um die Zukunft des Kaufhauses Manor an der Bahnhofstrasse. Die Besitzerin der Liegenschaft, Swiss Life, will den Mietzins verdreifachen, was die Mieterin, der Kaufhauskonzern Manor, nicht zahlen will oder kann. Auf dem Podium die Stadtpräsidentin Corine Mauch, Bertrand Jungo von Manor, Stefan Mächler von Swiss Life und Esther Girsberger.
Mit der durch ihre Funktion vorgegebenen Zurückhaltung gibt Stadtpräsidentin Mauch zu verstehen, dass ihr der Erhalt des Standortes von Manor an der Bahnhofstrasse wichtig sei. Die beiden Herren, jeder Vertreter eines Milliarden schweren Unternehmens, argumentieren mit dem Wohlergehen der Verkäuferinnen von Manor oder dem Schicksal der bei Swiss Life versicherten Rentner/innen. Nichts Unerwartetes. Es geht ums Geld. In der meist mit dem Florett, manchmal auch mit dem Zweihänder geführten Auseinandersetzung bringt Esther Girsberger noch andere Gesichtspunkte in die Diskussion ein: «Die Bahnhofstrasse muss ein gewisses zürcherisches Gesicht behalten. Es sind schon so viele Läden verschwunden, die das Flair und damit die Anziehungskraft dieser Strasse ausmachten. Deshalb muss das Kaufhaus Manor an dieser Stelle bewahrt werden. Wenn künftig dort nur noch Läden für Luxusuhren und ab dem dritten Stock Büros für Investmentbanker oder Rechtsanwälte vorhanden sind, dann verliert die Bahnhofstrasse ihren Charakter. Und das will ich nicht. Ich appelliere an ein Schweizer Unternehmen wie Swiss Life, dass es noch andere Interessen gibt, als rein marktwirtschaftliche. Es ist für mich als eine liberal denkende Frau nicht leicht zu sagen: Nein, hier muss der Markt ausgeschaltet werden.»
Die Lokalpatriotin
«Ich war immer gerne in Zürich, aber so eingeschworen wie ich es heute bin, das ist erst mit der Zeit gekommen.» Ein Jahr hat Esther Girsberger in Israel gelebt, überlegte sogar, dort zu bleiben. «Doch dann wurde mir die beginnende Intolerenz im Zusammenleben von Israelis und Palästinensern sehr unsympathisch.»
Den Slogan «Zürich – the little big City» findet Esther Girsberger zwar «grauenhaft», inhaltlich stimmt sie ihm aber zu: Ein reiches Kulturangebot, viele Grünflächen, mit dem «Bellevueplatz» endlich einen, der diesen Namen verdient und vor allem den See, ein saubere See, in dem man baden kann. Und noch etwas mehr ist für sie wichtig: die Überschaubarkeit und die mögliche Intimität. Kein Zweifel: Esther Girsberger ist eine Lokalpatriotin. Aber keine unkritische.
Aufgewachsen ist Esther Girsberger am Zürichberg in einem wohlhabenden Elternhaus. «Einerseits mangelte es uns an nichts, aber andererseits war man sich einer gewissen sozialen Verantwortung gegenüber jenen, denen es nicht so gut geht, sehr bewusst.» Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Auch am Zürichberg.
Das habe ich nicht nötig
In der ganzen Schweiz bekannt wurde Esther Girsberger, als sie als erste Frau 1998 die Chefredaktion des «Tages-Anzeiger» übernahm. Und noch mehr, als sie sie nach nur zwei Jahren wieder niederlegte. Aus dem Spagat zwischen Qualität und Kommerz – als Chefredaktorin war Girsberger damals auch Mitglied der Konzernleitung – ergaben sich Konflikte, Konflikte, denen sie sich nicht aussetzen wollte. Also ging sie. Heute sieht Esther Girsberger das differenzierter, umfassender: «Es ist für uns Frauen in den letzten Jahren einfacher geworden, in Führungspositionen zu kommen, aber viel schwieriger, sich dort zu halten. Einerseits, weil wir Frauen immer noch in der Minderzahl sind und deshalb auffallen – das ist jener Teil, den wir nicht beeinflussen können – und zum anderen, weil wir nicht im selben Masse wie die Männer Lust haben zu sagen: Ich bleibe – trotz aller Widrigkeiten. Wir Frauen nehmen uns eher noch das Privileg heraus zu sagen: Das habe ich nicht nötig – ich gehe.»
Die Frage, ob es besser wird, wenn Frauen mehr männlichen Beharrungswillen aufbringen, oder Männer eher einmal die frauliche Konsequenz zu einem «das reicht mir jetzt», diese Frage bleibt offen.
Für eine Quote – vorübergehend
Nach ihrer Tätigkeit als Chefredaktorin des «Tages-Anzeigers» etablierte sich Esther Girsberger rasch als eine sehr gefragte Moderatorin. Eines fiel der promovierten Juristin dabei immer wieder auf: Bei der Vorstellung der Gesprächspartner auf dem Podium wurden die Männer konsequent mit all ihren Titeln aufgeführt. «Bei einem Mann wird geschaut, hat der einen Titel, bei den Frauen ist ganz klar, die hat keinen.» Eine gar nicht so subtile hierarchische Abstufung.
Es waren auch solche Erfahrungen, die bei Esther Girsberger zu einem Umdenken ihrer Haltung zur Einführung einer Frauenquote in Führungspositionen beigetragen haben: «ich war sehr lange eine vehemente Gegnerin von Quoten und genauso vehement bin ich heute dafür – vorübergehend. Ich bin zum Schluss gekommen: es geht nicht anders. Ohne Quote werden wir es nie schaffen. Und wenn wir dann so weit sind, schaffen wir sie wieder ab. Manchmal muss man die Gesellschaft zu ihrem Glück zwingen.»
Sieg auf der ganzen Linie
Mitunter geht es auch schneller. Als man die Juristin für eine Position als Militärrichterin beim Divisionsgericht 6 anfragte, wurde ihr zugleich inoffiziell zu verstehen gegeben, dass dort eigentlich niemand eine Frau als Richterin haben wolle. Girsbergers Reaktion: «Dann mache ich das.» Bald kam mit der heutigen Stadtschreiberin noch eine zweite Frau hinzu und nach einem Jahr sagten die Männer im Gericht:» Ja, kommt denn auch eine der Frauen zu den Verhandlungen …» Ein, im Militärjargon, Sieg auf der ganzen Linie.
Wir denken gern auch einmal quer
Im letzten Jahr hat Esther Girsberger von Ellinor von Kauffungen die Firma «speakers.ch» übernommen. Für Girsberger ein neues Kapitel ihres Arbeitslebens. Sie ist jetzt selbstständige Unternehmerin.
«speakers» entwickelt Konzepte für Tagungen, Kongresse oder Symposien, vermittelt Moderierende und Referierende, organisiert inhaltlich solche Veranstaltungen: «Ich will den richtigen Referierenden am richtigen Ort für das richtige Zielpublikum». Mit diesem Unternehmenskonzept scheint Esther Girsberger eine Marktlücke ausfüllen zu können. Denn oft verfügen Firmen nicht über das notwendige «Know how», um solche Veranstaltungen mit der nötigen Qualität selbst organisieren zu können. Dafür braucht es Spezialkenntnisse, ein grosses Netzwerk und nicht zuletzt einen Namen.
Oase
Esther Girsberger ist – alphabetisch geordnet – Autorin, Ehefrau, Geigerin, Moderatorin, Mutter zweier Buben, Publizistin, Unternehmerin und Verwaltungsrätin.. Jedes Gebiet für sich «abendfüllend». In einem Interview hat sie einmal Bundesrätin Widmer-Schlumpf gefragt, wie die ihr riesiges Arbeitspensum bewältige. «Man muss Oasen setzen», so Widmer-Schlumpf.
Girsbergers «Oase» ist die Musik. Seit ihrer Jugend spielt sie Geige. Seit 38 Jahren mit der gleichen Bratschistin und dem gleichen Cellisten. «Selbst wenn ich noch so viel um die Ohren habe – man fängt an zu proben und ist nach kürzester Zeit einfach in der Musik.» Als Jugendliche hat sie sich schon einmal überlegt, ob sie die Musik nicht zu ihrem Beruf machen solle. Sie hat sich dann anders entschieden. Einer der Gründe: Von Profis hörte sie ab und an Sätze wie: «Jetzt muss ich schon wieder Brahms 3. Sinfonie spielen.» So etwas wollte sie nicht: «Ich will immer Freude haben, die 3. Sinfonie von Brahms zu spielen.»
Zurück zur Bahnhofstrasse
Mag sein, dass Esther Girsberger mit ihrem Engagement für den Erhalt vom «Manor» keinen Erfolg hat. Was aber für «ihre» Stadt besser wäre, ein möglichst guter Jahresabschluss von «Swiss Life» oder die Bewahrung des Charakters der Bahnhofstrasse, das steht für sie ausser Frage.
Martin Kreutzberg