Emmie Oprecht
Im November 1985 stellte der deutsche Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Hans Mayer, der während der Zeit des Faschismus in der Schweiz gelebt hatte, im Stadttheater Bern seine Autobiografie «Ein Deutscher auf Widerruf» vor.Im Gespräch danach wurde er gefragt, was denn sein Bild der Schweiz geprägt habe. Die Antwort kam schnell. Nein, vergessen ist nichts. Nicht die Demütigungen, die Ängste, die Ausgrenzungen, denen der jüdische Emigrant damals in der Schweiz ausgesetzt war. Und doch fallen zuerst Namen: Jean de Salis aus Basel, Gertrud Kurz aus Bern und Emmie Oprecht aus Zürich. «Solche Namen vergisst man nicht mehr.»
Der aufrechte Gang
Sein Name ist noch heute ein Begriff: Emil Oprecht, der Verleger, der Retter des Schauspielhauses, der Antifaschist, das intellektuelle Zentrum Zürichs über Jahrzehnte. Das ist richtig, stimmt aber nur zur Hälfte. Denn immer war all das ein gemeinschaftliches Werk von Emmie und Emil Oprecht.
Gemeinsam fuhren Emmie und Emil Oprecht Ende des 1. Weltkrieges an die Grenze nach Buchs, um Kindertransporte aus Österreich in Empfang zu nehmen. «Stundenlang standen wir auf dem zugigen Bahnhof … . Wenn die Kinder schliesslich ankamen, ausgehungert, schlecht bekleidet und verschüchtert, nahmen wir sie in Empfang und begleiteten sie an ihr Plätzchen in Zürich und in den Dörfern der Umgebung, von jedem wussten wir, wo es erwartet wurde.»
Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 in Deutschland gehörten die Oprechts zu der Minderheit, die von Anfang an in der Schweiz vor den Gefahren des Faschismus warnte. Die Bücher, die in Deutschland verbrannt wurden, stellten sie in die Schaufenster ihrer Buchhandlung. Das wurde von vielen als unnötige Provokation angesehen. «Da wechselten Leute die Strassenseite, um uns nicht grüssen zu müssen, und sie mieden das Geschäft, weil wir den verfolgten Schriftstellern halfen.»
Und in der «Alten Kirche Fluntern», damals als Studio von Trudi Schoop genutzt, fanden die emigrierten Schriftsteller/innen, wie Else Lasker Schüler oder Erika Mann bei ihren von den Oprechts organisierten Lesungen wieder ein Publikum.
Jedes Schicksal wog schwer, jedes Leben zählte
Buchstäblich über Nacht wurden damals in Deutschland tausende Menschen aus politischen und rassischen Gründen verfolgt, mussten, um ihr Leben zu retten, ihre Heimat verlassen. Nirgendwo wurden sie gerne aufgenommen. Zu denen, für die Hilfe für die Verfolgten selbstverständliche menschliche Pflicht war, gehörten die Oprechts in Zürich. Für sie galt der damals erfundene, wirkungsvolle Slogan «Das Boot ist voll» nie. Im Gegenteil. «Alle erdenkliche Phantasie und Energie und alle erreichbaren materiellen Mittel wurden aufgeboten, damit die verfolgten Menschen durchhielten. Jedes Schicksal wog schwer, jedes Leben zählte.» (Emmie Oprecht).
Emmie Oprecht war es, die der Familie Mann Unterkunft in Küsnacht organisierte, bei den Oprechts wohnte Golo Mann fast ein Jahr lang. Während Emil Oprecht fast jede Woche nach Bern fuhr, um beim Chef der Fremdenpolizei Rothmund Einreiseerlaubnisse und Aufenthaltsgenehmigungen für die Verfolgten aus Deutschland und später Österreich zu erwirken, leitete Emmie Buchhandlung und Verlag in Zürich, sammelte Geld und schrieb Briefe. Briefe in alle Welt mit der Bitte um Unterstützung bei der Erteilung der lebenswichtigen Visa oder auch nur, um die Menschen wissen zu lassen, dass sie nicht vergessen sind. Unterschrieben wurden diese Briefe dann von Emil Oprecht.
Als zu Beginn des 2. Weltkrieges die Herausgabe der Reden Winston Churchills in der Schweiz politisch nicht opportun war, liessen sich die Oprechts das nicht bieten. Sie erfanden einen fiktiven Verlag in New York, liessen den ins Deutsche übersetzten Text in einer Druckerei in Frankreich setzen. Emmie Oprecht korrigierte die Druckfahnen Wort für Wort und brachte sie wieder auf den Weg nach Frankreich.
«Schliesslich kamen die Bücher zustande und konnten in der Schweiz ausgeliefert werden.»
1952 starb Emil Oprecht. An seinem Grab sprach Thomas Mann. Emmie Oprecht leitete danach noch Jahrzehnte Buchhandlung und Verlag. Trotzdem blieb sie im Bewusstsein vieler «die Frau Emil Oprecht.»
Menschen wie Hans Mayer oder Golo Mann wussten es besser.
Auf dem Friedhof Fluntern liegen Emil und Emmie Oprecht neben Therese Giehse begraben.
Martin Kreutzberg