Wissensstandort Fluntern – Campus des 21. Jahrhunderts

Das Hochschulgebiet Zürich Zentrum HGZZ von Unispital, Uni und ETH

Was in Zürich klein und bescheiden begann, entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten rasant:
1864, gerade einmal neun Jahre nach der Gründung, erhielt die ETH ihr nach den Plänen von Gottfried Semper erbautes Gebäude. Allerdings nicht allein. Sie musste es sich mit der Universität teilen. Ende des 19. Jahrhunderts führte das starke Wachsen beider Institutionen dann dazu, dass auch die Universität ihr nach den Plänen von Curjel und Moser erbautes eigenes Gebäude erhielt. 

Und schliesslich entstand zwischen 1941 und 1953 das neue Universitätsspital, erbaut nach den Plänen der Architekten Häfeli Moser Steiger, das heutige Hauptgebäude des Universitätsspitals, direkt gegenüber Sempers ETH gelegen. 1978 schliesslich kam noch das Frauenklinik-Hochhaus mit seinen 17 Stockwerken hinzu. 
Der Zustand im Jahre 2000: Die ETH ist eine der führenden naturwissenschaftlichen Hochschulen weltweit, im Unispital werden inzwischen in über 40 Kliniken jährlich 170 000 Kranke behandelt, die Universität hat eine stark zunehmende Zahl von Studierenden zu bewältigen.
Alle drei Institutionen liegen hauptsächlich in Fluntern und alle drei geraten um die Jahrtausendwende an die Grenzen ihrer räumlichen Kapazitäten. Sie brauchen Platz.
Lange hat man sich mit ‹Notlösungen› zu behelfen versucht. 
Mit Folgen für Fluntern: Dutzende Immobilien wurden von der Universität, der ETH oder dem Unispital für ihre Zwecke genutzt, Wohnraum so seinem eigentlichen Zweck entzogen.
Trotzdem reichte es immer weniger, um die Bedürfnisse von Universität, ETH und Unispital nach mehr Räumen zu befriedigen: «Das Hochschulgebiet im Zentrum der Stadt Zürich beherbergt mit dem Universitätsspital, der Universität und der ETH drei zentrale Institutionen mit internationalem Ansehen […] Die national und international führende Stellung der drei Institutionen ist heute durch eine Reihe von inhaltlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten ernsthaft gefährdet […] das erfordert ein rasches entschlossenes Handeln: Die betrieblichen und baulichen Voraussetzungen des Universitätsspitals und der medizinbezogenen Bereiche der Universität müssen dringend und umfassend verbessert werden […]», so beschreibt das Regierungsrat des Kantons Zürich die Lage (Protokoll vom 28.9. 2011).
Fazit: Soll der wissenschaftliche Standard gehalten werden, sind umfangreiche Neubauten erforderlich.
Aber, wie Regierungsrat Kägi beschreibt, die Ausgangslage ist kompliziert: «Wir haben da oben auf städtischem Gebiet eine nationale Institution – die ETH und wir haben zwei selbstständige, öffentlich-rechtliche Anstalten des Kantons: die Universität und das Universitätsspital […] Letzteres ist zudem für die Finanzierung seiner Investitionen selber zuständig. Diese Konstellation über drei politische Ebenen hinweg ist schweizweit einzigartig.» (Regierungsrat Markus Kägi 2016).

Draussen oder drinnen
Drei Varianten für den Bau eines neuen Hochschulquartiers wurden geprüft:
-    Das neue Hochschulgebiet wird am alten Standort «ohne Rücksicht auf bestehende Gebäude und den Spitalpark» gebaut.
-    Es wird am alten Standort unter Einbeziehung bestehender Gebäude und weitgehender Schonung des Spitalparks gebaut
-    Ein «Alternativstandort» ausserhalb von Zürich wird gesucht – also Neubau «auf der grünen Wiese».
Die dritte Variante wurde schnell verworfen: zu teuer, eine Bauzeit von 14 bis 17 Jahren und «rechtliche Unsicherheit» bei der Umsetzung.
Man entschied sich für die zweite Variante. 
Zwei Gründe wurden dafür genannt: Die höheren Kosten für Neubauten ausserhalb Zürichs und die Chancen zu mehr Kooperation zwischen den Instituten am alten Standort: «Die unmittelbare Nachbarschaft der beiden Hochschulen schafft zudem ein attraktives Umfeld für erfolgreiche Kooperationen.» (Peter Bodmer Newsletter 1/2014). Oder, wie es immer wieder formuliert wurde: Eine Medizinerin und ein Physiker treffen sich zufällig am Kaffeeautomaten, kommen miteinander ins Gespräch. «Aus diesen Gesprächen resultieren», so Prof. Markus Rudin vom Institut für Biomedizinische Bildgebung der ETH, «oftmals die besten Ideen.» Und dann …, ja dann kann das berühmte «Synergiepotenzial» seine Wirkung entfalten…

Fluntern wird neu gebaut
Nach dem Grundsatzentscheid «Bau am alten Standort unter Einbezug der bestehenden Gebäude» – war klar: Hier wird eine «Generationenprojekt» gestartet: vier Milliarden Franken schwer und mit einer Bauzeit von mehr als zehn Jahren – ein Bauprojekt, das Fluntern und auch die angrenzenden Quartiere durch die Neubauten der ETH, des Universitätsspitals und der Universität städtebaulich massiv verändern würden. 

Kern des neuen «Hochschulgebiets Zürich Zentrum» (HGZZ) allerdings sind zwei Neubauten: das «Forum UZH» der Universität an der Ecke Rämistrasse/Gloriastrasse und das Unispital. 
Den Wettbewerb für die beiden Bauten gewannen – nicht ganz überraschend – zwei renommierte Schweizer Architekturbüros: Herzog & de Meuron für das «Forum» und Christ & Gantenbein für das Unispital.

Das Forum 
Auf 94 000 m2 Geschossfläche – sieben Stockwerke hoch, dazu zwei im Untergrund – wird es Hörsäle, Seminarräume, eine grosse Bibliothek, eine Mensa, flexible Büro- und Projekträume und Turnhallen enthalten. 
Das Hauptgebäude ist von der Rämistrasse zurückgesetzt. Auf dem vorgelagerten Sockel entsteht so eine grosse Terrasse – städtebaulich sehr überzeugend.
Einziehen sollen dann Teile der  Rechtswissenschaft und der Wirtschaftswissenschaft und die Neuen Sprach- und Literaturwissenschaften. Etwa 6000 Studierende und Mitarbeitende werden künftig dort studieren und arbeiten. 

Doch das FORUM UZH soll zugleich «das gesamte Hochschulquartier aufwerten, zugänglich und offen für alle sein, eine zentrale Rolle für die Belebung des Quartiers» übernehmen. Deshalb wird es dort «verschiedene Cafes, Dienstleistungsflächen, Turnhallen geben, die auch für die breite Öffentlichkeit gedacht sind.» (HGZZ Newsletter 12/24).
Heute befinden sich auf dem vorgesehenen Bauplatz noch Turnhallen und ein Sportplatz. Trotz Bedenken der städtischen Denkmalpflege werden sie abgerissen und auch der Sportplatz wird überbaut. Um aber den Sportbetrieb bis zur Fertigstellung des Neubaus zu gewährleisten, wurde am Gloriarank ein Provisorium errichtet.

Das neue Universitätsspital
Für seinen Bau wurde ein Gebiet an der Gloriastrasse ausgewählt. Oberhalb der alten Anatomie gelegen, dort wo einst auf einem Rebberg die Trauben reiften, aus denen der Dienstwein für die Spitallangestellten gekeltert wurde. Auch der Friedhof des Spitals, der allerdings schon im Jahre 1885 voll war, befand sich auf dieser Fläche. 1924 wurde dann dort das Gebäude der Dermatologie eröffnet.
Den Wettbewerb für den Neubau gewann das Architekturbüro Christ & Gantenbein.
Ihr Projekt umfasst vier Häuser, die über «Brücken» miteinander verbunden sind: «Neubauten und Freiräume sind städtebaulich gut angeordnet und erzeugen mit den historischen Bauten von Häfeli, Moser, Steiger Architekten ein ausgewogenes Arealensemble.» (USZ: Siegerprojekt S.3).
Kosten: etwa eine Milliarde Franken.
Die neuen Gebäude werden 300 Betten, davon 94 Intensivpflegeplätze, 23 Operationssälen, dem Interventionszentrum für Schlaganfall- und Herzpatienten sowie dem Notfallzentrum Platz bieten.» Letzteres ist besonders dringlich, denn gegen 45 000 Menschen kommen jährlich. Mit steigender Tendenz. «Im Neubau wird den Patientinnen und Patienten mehr Platz zur Verfügung stehen», so damals Dagmar Keller, Direktorin des Instituts für Notfallmedizin. Auch einen «Schockraum» zur Behandlung schwerer Notfälle wird es geben.
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Als einen «Meilenstein in der Geschichte des Universitätsspitals» bezeichnete Gregor Zünd, der damalige CEO des Spitals, den neuen «Campus Mitte», so sein offizieller Name.
Baubeginn war 2022
Geplante Eröffnung: 2031.

Die kritische Stimme der Nachbarn
Nicht ganz so euphorisch wie der CEO des Unispitals fielen die Meinungen in der Bevölkerung von Fluntern und Hottingen aus. 
Es gab Bedenken. 
Nachvollziehbar, denn die geplanten Neubauten bedeuten einen massiven Eingriff in die städtebauliche Struktur.
Jetzt wurden die Quartiervereine aktiv und brachten ihre Forderungen ein. Grundsätzlich unterstützten sie die Weiterentwicklung von Universität, ETH und Unispital, meldeten aber auch Bedenken an.
So auch der Quartierverein Fluntern. 
Seine Forderungen:
-    die Einbindung der Bauten in die bestehende Nachbarschaft
-    eine öffentliche Nutzung der Erdgeschosse – Mehrwert im öffentlichen Raum für die umliegenden Quartiere
-    Überarbeitung der geplanten Volumen – speziell ihrer Höhen.
-    Konsequente Rückführung der heute durch die drei Institutionen USZ, Universität und ETH belegten Liegenschaften (2016 wurden 45 Immobilien vor allem in den Quartieren Fluntern und Hottingen durch ETH, die Universität und das Universitätsspital «zweckentfremdet» genutzt) zu quartierverträglichen Nutzungen

Freier Blick auf den Zürichsee
Konnte man sich bei der «Rückführung zweckentfremdet genutzter Immobilien», sofern sie sich im Eigentum des Kantons befinden, schnell einigen – bis «2025 ist bei rund 15 dieser Objekte eine Rückführung konkret geplant» –, gelang dies bei der geforderten Überarbeitung der geplanten Volumen», konkret der Höhe des neuen Unispitals nicht. 
Dies nun war eine der Hauptforderungen aua dem Quartier. Viele befürchteten, dass die Bauten des neuen Unispitals wie ein Block vor ihrem Quartier zu liegen kämen.
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Bereits 2009 hatte der damalige Stadtbaumeister Franz Eberhard das Problem so beschrieben: «Letztlich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Vertrauen oder Verträge. Entweder man erarbeitet zusammen etwas, oder man überlässt es den Juristen.» (NZZ 30.8.2009)
Auf die Kraft der Argumente setzte der Quartierverein Fluntern. Es blieb ihm auch nichts anderes übrig, denn juristisch einspruchsberechtigt war der Quartierverein Fluntern nicht. Das Ergebnis seiner Bemühungen um Reduktion der Höhe der geplanten Bauten war ernüchternd. Es gab keine Einigung.

Das Unispital muss den Kopf einziehen
Nun gründeten Bewohner von Fluntern einen Verein: «Zukunft Hochschulgebiet Zürich AGBB (Arbeitsgemeinschaft besorgter Bürger), dem auch einige renommierte Architekten angehörten, und rekurrierten gegen die geplanten Gestaltungspläne im «Hochschulgebiet Zürich Zentrum (HGZZ). Juristisch waren sie dazu, im Unterschied zum Quartierverein, berechtigt. 
Da der Weg durch die juristischen Instanzen zeitlich das ganze Bauprojekt behindern konnte, entschloss man sich zu Gesprächen mit den Rekurrenten. Und kam zu einer Einigung: «Konstruktive Gespräche führen zu höherer städtebaulicher Qualität. Als Beitrag gemeinsam eine abgestufte Bebauung mit entsprechenden maximalen Höhen definiert» Damit wurde das erreicht, worum sich der Quartierverein Fluntern vergeblich bemüht hatte: Die Reduktion der Höhe der Neubauten und weiter ein freier Blick auf den Zürichsee.
«Mit dieser Einigung ist der Weg frei für die weitere Entwicklung des Wissens- und Gesundheitsclusters Zürich.» (Medienmitteilung vom 28.08. 2019).