Wenigstens lief etwas — Grossmutter und Enkeltochter
Über 60 Lebensjahre trennten sie. Gemeinsam ist ihnen die enge Verbundenheit mit Fluntern. Und der wache Blick auf ihre Umwelt. Vor allem aber die Lust am Schreiben: Präzise, witzig, ironisch – Küngolt Heim-Aebli und Sophie Kreutzberg: Grossmutter und Enkeltochter.Küngolt Heim-Aebli: «Ich bin eine Heimweh – Zürcherin. In Zürich geboren, aufgewachsen, geschult, verheiratet, zur Stadtbürgerin geworden, als Mutter einer grossen Familie fortgezogen und nie wiedergekehrt. Noch immer aber liegt mir die Stadt am blauen See am Herzen. Allerdings wohnten wir nie in Fluntern. Wir kamen nur zu Besuch, zu Freunden, Verwandten und Schulkameraden. Tagaus, tagein aber schauten wir vom Garten im Neubühl in Wollishofen über den See nach Fluntern hinüber…»
Sophie Kreutzberg: In Fluntern aufgewachsen – Chindsgi und Primarschule im Schulhaus Fluntern, natürlich Pfadi Agua, Gymi Rämibühl und Stadelhofen, Uni Zürich, von Fluntern in den Kreis 5 gezogen, heute in Wipkingen wohnend.
Lebensmüde
Lebensmüde, Lebensekel, Langeweile, Überdruss – Fasziniert schaue ich auf diese Ansammlung von düsteren Worten. Sie passen haarscharf zu mir. Ich könnte sie mir um den Hals hängen.
Anscheinend gibt es viele Menschen, zu denen sie passen.
Max Frisch gehörte dazu. Er suchte sie nicht zu bekämpfen. Er floh. Er wechselte den Ort, er veränderte die Umwelt, er suchte neue Welten.
Meine Umgebung habe ich oft gewechselt. Es war keine Flucht. Ich liess mich gern auf Neues ein, mich überraschen. Heute, im Altersheim, der so menschenfreundlichen, aber im Grunde so nutzlosen Institution, ist alles vorgepfadet: Es wird vorgelebt, geführt, umsorgt, geschützt. Damit ja nicht etwas geschieht, was dem Heim vorgeworfen werden könnte. Keine Unfälle dürfen passieren, keine Fehler. Man lebt uns das Leben vor, das wir einst selber erkunden mussten. Manchmal bekamen wir dabei harte Stösse, blaue Flecken, aber war das so schlimm? Wir hatten etwas gewagt, der Tag hatte einen Inhalt.
Heute bekommen wir «Anregungen». Und man ist freundlich zu uns. Die Nachbarinnen, das Personal. Meine lieben und liebenswürdigen Kinder. Sie geben sich alle Mühe. «Du brauchst Tapetenwechsel», «geh aus», «kauf dir was», «lern was Neues, «schick eine E-Mail», «lern das». Gut gemeint, aber wenig nützlich. Zu all dem gehören Körperkräfte, die Fähigkeit sich konzentrieren zu können, der Wunsch, etwas anzustreben, befriedigt zu sein, wenn es gelingen sollte. Aber ach, schon das Zuhören macht mich müde.
Bei Graham Green oder Aldous Huxley, ich weiss nicht mehr genau bei wem, las ich einmal, dass er sich als junger Lehrer so langweilte, dass er in der Freizeit zum Zahnarzt ging. Es tat weh, aber wenigstens lief etwas.
Gestern liess ich mir einen Termin zur Operation des Auges geben…
Küngolt Heim Aebli
Von Fluntern nach St. Moritz
Samstagmorgen: Es klingelt. Ausschlafen fällt aus. Luis steht vor der Tür. Nachbarschaftssolidarität ist angesagt. Sich winden ausgeschlossen: Nachbarin Eveline muss arbeiten und Luis, der heute die Kinder hüten müsste, hat kurzfristig einen Kurierauftrag reinbekommen und fragt, ob ich auf die Kinder aufpassen kann. Weil so ein Kurierauftrag, guten Morgen, Samstagmorgen, besonders gut bezahlt wird.
Eine reiche Züriberg Tante, die ihre dreimonatige Winterauszeit in St. Moritz verbringt (hallooo Auszeit von was bitte?) hat plötzlich bemerkt, dass sie etwas vergessen hat. Und das wollte sie sich schnell von einem Kurier hochbringen lassen. Luis musste also um sieben Uhr morgens vor ihrer Villa in Fluntern stehen, um die wertvolle Fracht in Empfang zu nehmen. Und natürlich war er nicht das einzige Opfer, weil irgendjemand musste ihm ja die Tür dort öffnen und die Sachen übergeben. Darum musste die rumänische Haushälterin, die in Albisrieden wohnt, natürlich nicht bei ihrer Chefin ums Eck, auch super früh am Morgen – noch vor Luis – dort aufkreuzen und alles bereit machen. Luis fährt also hin und es stellt sich raus, dass das was die gute Frau vergessen hat, ein paar Accessoires sind. So wenig, dass die Haushälterin alles in ein Hèrmes Täschchen packen konnte. Das hätte auch anders nach St. Moritz geschafft werden können, aber Kurierdienst ist natürlich standesgemässer. Luis hat dann das Täschchen auf den Beifahrersitz gepackt und ist nach St. Moritz gefahren, dauert ja schon ziemlich lange. Insgesamt hat er sechs Stunden für die ganze Aktion verbraten. Aber was macht man nicht alles für Geld … Als er dann ankam in St. Moritz hat sich Madame Society Lady natürlich nicht blicken lassen. Luis hat das Taschi dem Butler – oder welche Funktion auch immer der arme Vogel hat – in die Hand gedrückt. Und fertig.
Die Höhe am Ganzen war aber, dass die Madame, obwohl sie den Auftrag so ultrakurzfristig angemeldet hat, noch versucht hatte, mit Luis um den Preis zu feilschen. Ziemlich stillos, allein das Hermès -Täschchen kostet sicher um die 8000 Franken. Also hat Luis, nachdem er am Zürichberg die wertvolle Fracht entgegen genommen hatte, extra noch einen Umweg gemacht und seine Leidensgenossin, die rumänische Haushälterin, nach Albisrieden gefahren. Was er der reichen Tante natürlich genüsslich verrechnet hat.
Sophie Kreutzberg
Der Zerbrochene Krug
Nein, nicht der von Kleist. Und eigentlich ist er auch nicht zerbrochen. Es war eine einfache Haushaltspanne.
Ich war am Tee-Machen. Ich bin eine Tee-Brauerin grossen Formats geworden. Ständig steht eine Thermoskanne auf dem Küchentisch. Je nach Tageszeit mit Pfefferminz-, Ingwer-, Eisenkraut-, Früchte-, Blasen- oder Schwarztee gefüllt. Grund sind unsere Töchter. Sie lagen uns seit langem in den Ohren: «Ihr trinkt zu wenig. Alle alten Leute sind am Austrocknen.» Voilà, wenn man’s nicht mehr hören kann, reagiert man.
Vorgestern war’s. Ich war am Einschütten des siedenden Wassers in den Glaskrug. Früchtetee muss fünf Minuten ziehen. Ein feines, giftiges Klirren sirrte durch den Raum. Ich wusste natürlich, was es war. Das Glas zersprungen, es tröpfelte und nässte. Kabis! Ersatz habe ich in meiner winzigen Küche nicht.
Wir zogen los. Ziel: Ein einfacher, mittelgrosser Milchkrug – vom Glas nahmen wir Abstand. Wir fingen beim grössten Warenhaus in der Bahnhofstrasse an. 5. Stock. Zum Glück mit Fahrstuhl.
Abteilung Haushalt. Ha, wie elegant! Da ich kaum mehr lädele, sozusagen nie mehr etwas kaufe, sind die allseits renovierten Kaufhäuser ein Schock, eine Erschütterung. Schöne Dinge liebe ich zwar, aber jetzt suche ich etwas zum Brauchen, einfach und praktisch.
Aber was da stand, war Design. Vom Feinsten. Arzberg und Wedgewood und sogar Meissen. Alte Pastellfarben, Barockformen, hauchzart. Man musste sie nicht umdrehen, um zu wissen, woher sie kamen. Das heisst, doch, man musste sie umdrehen, um den Preis zu erspähen. Und der sprang uns an: 50, 60, 70 Franken! Für einen Milchtopf!
Ja, sagte der dienstbare Geist, der herbeieilte, das ist halt alles für Hochzeits- Geschenklisten. Er ergriff einen einsamen Topf, feuerrot mit handgemalten gelben Tupfen. Steingut, dickbäuchig, ordinär. Blick auf den Preis nicht nötig.
Wir flohen. Zweites Warenhaus, 4. Stock. Ein déja-vu Erlebnis. Wir haben keine Hochzeit vor. Die silberne und die goldene liegen hinter uns, was kommt, wissen wir nicht. Platin, Brillant oder Eisen?
Mein Mann verschwand im unteren Stockwerk. Dringend nötige Unterwäsche besorgen. Mit befriedigtem Blick setzte er zur Heimkehr an. Er schwört auf gut erledigte Pflichten.
Bange Frage: Was wird mit dem Teetrinken?
Küngolt Heim Aebli
Bäcki-Eltern
Nun also nicht mehr Fluntern, sondern Kreis 5. Sehr lebendig. Urban eben. Gärten allerdings wie am Zürichberg: Fehlanzeige. Unser Garten ist die Bäckeranlage, die «Bäcki», gleich nebenan. Sehr beliebt bei Eltern, die ihren Nachwuchs ausführen und präsentieren wollen. Und sich selbst: «Schaut uns an, uns die moderne, urbane Kleinfamilie.» Die Männlein erkennbar an Hornbrille und dem trendy «Ich-stopf-mein-Kind-und-alles-andere-rein Veloanhänger» mit dem sie durch's Quartier kurven. Und die Frauen tragen so Stieffelettchen und Parkas und haben ihre Haare zu Pferdeschwänzen zusammengebunden. Demonstrativ ultrapraktisch, nichts dem Zufall überlassen. Und alle haben die angesagten Rucksäcke. So schwedische, mit einem Fuchs. In jeder Farbe und Ausführung. Das sind die richtig Trendigen…
Zurück zur «Bäcki»: Da stehen dann vier Erwachsene um ein Kind herum, behüten, beäugen und bewundern es. Dabei wird die Szene «angeregtes Plaudern entspannter Eltern» aufgeführt. Aber wenn dann das Kind umfällt, oh je, wie sie alle angerannt kommen. Als hätten sie nur auf den Moment gewartet. Haben sie vermutlich auch.
Dann gibt es noch die mit den Veloanhängern aus Plastik. Die kann man ganz zu machen: Hermetische Plastikhülle mit Kindkern. Auf zwei Rädchen rattert das Kind über die Strasse. Wenn man sich vor‘s innere Auge führt, wie so ein Anhänger von einem Lastwagen mitgeschleift wird? Grässlich, entsetzlich, schrecklich…!
Und wenn sie schon so einen schicken Veloanhänger haben, dann natürlich auch nicht irgendwelche Velos: Er hat einen Brooksvelosattel, ein schwarzes Citybike garantiert und sie ein Damenvelo mit einem riesen Weidekörbchen vorne dran. Mit dem sie, natürlich, wenn wir schon dabei sind, am Dienstag das Gemüse am Helvetiaplatz holt: «Weil der Lars gesunde Sachen braucht. Und danach gehen wir immer in den Bio-Laden. Wenn Lars ganz ein Braver war, kriegt er ein Leinsamen-Schoggistängeli. Das gibt ihm Energie…»
«Es ist total super hier auf der Bäcki, aber wir wohnen halt doch lieber in Fluntern, da kann die Lisa alleine in den Chindsgi laufen.» Wenn man sie denn liesse …
Sophie Kreutzberg
Schwarzfahren
Das, erschrecken Sie nicht, geschieht mir ab und zu. Die Grammatik dieses Satzes ist seltsam, fast unverständlich, aber sie entspricht der Wahrheit.
Es ist Tatsache: Schwarzfahren ist nicht meine Absicht. Aber ich tue es. Es ist, als ob eine fremde Macht mich dazu stösst.
Ich gehe nur noch wenig in die Stadt. Eigentlich nur, wenn ich ein Rendezvous mit Arzt, Zahnarzt oder, selten genug mit dem Coiffeur habe. Da freilich bin ich zum Einhalten der Zeit verpflichtet und das Tram darf mir nicht vor der Nase wegfahren. Umso mehr, als mein operiertes Knie mich am Rennen hindert. Und überhaupt, wen macht es nicht rasend, wenn das Tram, dessen Türknopf man schon in der Hand hat, sanft davon gleitet?
Nun, wie dem auch sei, das Tram scheint mein wunder Punkt zu sein. Im Allgemeinen bin ich mit einer vorbildlichen Zahlungsmoral gesegnet. Meine Rechnungen liegen kaum länger als drei Tage in der Schublade, nie habe ich etwas mitlaufen lassen. Und sogar in der Pubertätskrise haben mich weder Lippenstifte, noch Schoggiriegel, noch falscher Schmuck in Versuchung geführt.
Zu diesem Thema muss ich noch etwas anfügen. Es handelt sich um meinen angetrauten Partner. Ein ehrenwerter Mann. Eine super ehrliche Haut, wie man sagt. Auch beim Tramfahren. Er bezahlt alles auf Heller und Pfennig. Und wenn’s um Trinkgeld oder Dank geht, dann greift er stets zu tief in den Geldsäckel. Eines Tages, als er zu Fuss nach Hause eilen wollte, fiel ihm unerwartet ein höllischer Platzregen auf den Kopf. Wie gerufen hielt ein Tram neben ihm an. Ein Griff, ein Sprung, gerettet. Ebenso knapp hinter ihm ein anderer. Ein Kontrolleur. Ich erlasse ihnen das Ende des Falls. Aber Fr. 80 sind achtzig Franken.
Vorgestern ging’s mir ähnlich. Ohne Platzregen. Kirche Fluntern. Kontrolle. Dieser Kontrolleur aber stieg an der Voltastrasse aus, stempelte meine Mehrfahrtenkarte ab, gab sie mir zurück und sagte lakonisch »Seniorenrabatt».
Küngolt Heim Aebli
Der arme Herr Müller
Und der Typ war doch von der Cablecom! Der, der der mich vor einer Woche am morgen früh angerufen hat, weil unsere Steckdose abstrahlen würde. Kaum zu glauben, weil er im Gegensatz zu mir genau wusste, wo sich die Steckdose befindet und wie man vom Hof unten in meine Wohnung rauf sieht.
Angefangen hat das Ganze mit einem schlecht kopierten Brief der Cablecom im Briefkasten. Unten am Brief stand der Name Müller und eine Handynummer. Ich habe dann bei der Cablecom angerufen, weil etwas suspekt ist so ein kopierter Brief schon. Die Cablecom hat dann auch von nix gewusst. Sie haben sogar gesagt, ich solle dem Typen ja nicht die Türe aufmachen, weil das sicher so ein Betrugsversuch sei. Pflichtbewusst habe ich dann bei der Polizei angerufen, die nur rausgefunden hat, dass die Nummer einem Müller mit Jahrgang '83 gehört. Es seien meistens verschmähte Liebhaber, die so eigenartige Sachen machen würden. Sehr hilfreich, denn kein Müller in meiner Vergangenheit, kein Plan wer das sein könnte.
Nachdem sich der angebliche Müller dann noch telefonisch bei mir gemeldet hat, hab ich nochmal bei der Cablecom angerufen. Zuerst haben sie wieder gesagt, sie wissen von nichts, aber dann haben sie nachgeschaut und gesagt: «Ach doch das ist die Nummer eines Servicemitarbeitenden von uns, rufen Sie doch einfach mal da an.» Ich hab ihnen gesagt, dass das ja wohl ziemlich daneben sei und ich den Typen schon bei der Polizei gemeldet habe. Aber das hat den Callcenter Typ null interessiert.
Auf jeden Fall ist der Müller dann vorbeigekommen. Und ich habe mich bei ihm entschuldigt, dass ich ihn der Polizei gemeldet habe. Aber er meinte, das sei schon ok, so Sachen kämen immer wieder vor. Und sie kämpfen schon seit Jahren um normale Cablecom Service Nummern.
Und er hat mir erzählt, dass die im Callcenter sowieso meistens von nichts wüssten, weil seit dem Zusammenschluss ein grosser Teil des Callcenters nach Leipzig ausgelagert wurde. Leipzig … In Sachsen!!! Wenn ich anrufe, rede ich doch immer Schweizerdeutsch mit denen und die armen Typen verstehen ja kein Wort! Ich hatte den Callcenter Typen noch gefragt, ob er mich mit jemandem verbinden könne und logisch konnte er das nicht, wenn er da in Sachsen hockt!
Die abstrahlende Steckdose war dann bei meinem Nachbarn im unteren Stock und nicht bei mir, wie der Herr Müller herausfand. Dafür hat er mir noch den Fernseher neu programmiert und das Fernsehkabel, das abgeknickt war, das hat er auch gleich ersetzt.
Heute Morgen hat es wieder früh geklingelt. Hab einfach nicht aufgemacht.
Sophie Kreutzberg
Danke
Selten wird dies kleine Wort so oft in den Mund genommen wie in den kalten wintrigen Tagen kurz vor Weihnachten. Es wird gemurmelt und gerufen, geschrieben und telefoniert, angehängt und eingefügt, gesungen und gesäuselt. In allen erdenklichen Stimmlagen, mit nassen Augen, begleitet vom Händedruck mit eisigen Fingern, in Handschuhen oder ohne. So häufig, dass es zur Floskel geworden ist. Und, wenn es ernst gemeint ist, schämt man sich fast, fühlt sich kleinlich oder oberflächlich.
Um das zu vermeiden, eilt man behände um die nächste Ecke – gottlob steht dort ein Blumenladen oder eine Confiserie – und kauft oder bestellt in luxuriösem Ausmass ein Angebinde mit Adresse des Gottenkindes, des jüngsten Enkels oder der neuesten Schwiegertochter.
Wer aber ist wie ich, nämlich geizig, den berührt schon das Herausklauben des Portemonnaies als peinlich, zudem ist die Barschaft im Rucksack, wegen der Stöcke, meist nur kärglich, bei dem also ist Hopfen und Malz verloren.
So geschehen am Ende des Jahres 2013 bei meiner Person im Altersheim hoch oben auf dem Hügel. Rundum geschwätzige Vorschläge, wie derlei peinliche Vorfälle zu vermeiden sind: Man reagiere gar nicht. Lasse sich eine dicke Haut wachsen und so tun, als ob es einen gar nicht gäbe. Dieser Vorschlag erlitt Schiffbruch, weil er mir dann doch zu autistisch erschien. Und, oh Katastrophe, ich war ja schon am Packen. Alle erwarteten mich. Das Gastzimmer war gerüstet, der Menüzettel geschrieben. Mich überkamen Albträume, wie grosszügig die Türe offen stand, wie alle Arme ausgebreitet waren, wie die Lichter brannten, die Kerzen flackerten. Und ich stand da, müde und zerknittert von der Reise, mit meinem Köfferchen, das nur meine Habseligkeiten barg, kein einziges Geschenk, kein Büchlein, kein Blümchen. Und sie hatten sich alle ein Jahr lang bemüht, mich weniger traurig zu machen, mir Freude zu bereiten, einen Dienst zu erweisen.
Blitzartig fuhr es mir auf der Türschwelle ein: Denk nicht an Geschenke mit Bändchen drum, denke an Worte, die sie freuen: Sag der einen, wie hübsch sie geworden ist, der anderen, wie hilfreich ihr Brief war, dem Dritten, wie sehr er mir half, die Depression zu vertreiben. Nimm dir vor, einen fröhlichen Abend zu ermöglichen. Gratuliere dem Sohn oder der Tochter zum Erfolg, der Enkelin zum Preis. Aber sag nicht «Danke»!
Küngolt Heim Aebli