Späte Auferstehung
Ein Spital dient der Heilung kranker Menschen. Aber nicht alle schaffen es. Der Friedhof des ersten Zürcher Kantonsspitals lag direkt über ihm. Fast fünfzig Jahre, von 1838 bis 1883, wurden hier Menschen beerdigt. Aus den Patienten- und Totenregistern weiss man, dass 85-90% aller im Spital Verstorbenen hier ihre letzte Ruhe fanden.
Spätere Überbauungen nahmen keine Rücksicht darauf. Erst 2023, im Zuge der Baumassnahmen für das neue Universitätsspital, wurde der Friedhof wieder freigelegt.
November 2023. Die Kantonsarchäologie hat die Oeffentlichkeit zur Besichtigung dieser sehr speziellen Ausgrabungsstätte eingeladen. Und viele sind gekommen, um sich informieren zu lassen.
Ein grösserer Widerspruch ist kaum denkbar: hier die riesigen Bagger, die die Baugrube für das Fundament des neuen Universitätsspitals ausheben und dort die Archäologinnen und Archäologen, die auf den Knien mit Pinsel und Schäufelchen die Skelette der im ersten Kantonsspital verstorbenen Menschen freilegen. „1500 -1800 Menschen wurden hier beerdigt“, so Timea Ramsey, Projektleiterin der Kantonsarchäologie, die die Ausgrabungen leitet. „Da es um menschliche Überreste geht, gilt es sowohl die menschliche Würde zu respektieren wie auch das Interesse der Forschung daran zu erlauben.»“
Die Ausgrabung des Friedhofs ist eine enorme Herausforderung für die Mitarbeiter/innen der Kantonsarchäologie: Denn damit die Bauarbeiten für das neue Spital zeitlich nicht beeinträchtigt werden, muss ihre Arbeit in wenigen Wochen geleistet werden.
Vom Ergebnis erhofft man sich „wertvolle Einblicke in die Bevölkerungsstruktur der Schweiz zwischen 1840 und 1880“ und vor allem „Informationen über Todesursachen, erlittene Krankheiten sowie Ernährung und die Herkunft der bestatteten Personen zu gewinnen“. Und: „ Aufgrund der vielen Sezierspuren ist der alte Spitalfriedhof medizinhistorisch von grossem Interesse.“
Nach Abschluss der Grabungen und den wissenschaftlichen Auswertungen werden die „menschlichen Ueberreste an einem von evang.-ref. und katholischen Geistlichen gesegneten sicheren Ort zur letzten Ruhe gebettet werden
Martin Kreutzberg