Gang id Schwiiz und mach dei Glück — Die Geschichte der Familie Gentner und ihrer Hofburg
Die Geschichte der aus Württemberg stammenden Familie Gentner beginnt wie bei vielen Einwandern in Aussersihl. Dort betreiben sie einen Wein- und en gros Handel. Mit Fleiss und Tüchtigkeit schafft die Familie den Aufstieg. Sie werden 1891 eingebürgert und drehen dem Arbeiterquartier 1905 den Rücken zu. Nächste Station ist die Bahnhofstrasse 100, 1909 geht es dann 556 Meter den Zürichberg hinauf. Johann Friedrich Gentner baut zuerst ein Haus an der Dolderstrasse 96, das er wenige Jahre später bereits wieder verkauft, um seinen nächsten Bau zu finanzieren. Ab 1912 wohnt die Familie in der Hofburg an der Hofstrasse 114/116. Es ist ein stolzes Gebäude, aber vor allem eine profitable Geschäftsidee: Die Gentners vermieten modern ausgestattete möblierte Wohnungen mit Wäscheservice. Über drei Generationen hält der Erfolg mit dem «Wohnen auf Zeit» an. Dann leitet ausgerechnet ihr Nachbar und Freund aus Aussersihler Tagen – Maximilian Bircher-Benner – den finanziellen Niedergang ein.Viele bekannte Zürcher Unternehmerfamilien – Jecklin, Hug, Gassmann, Fürrer, Hiltl oder Vontobel – kamen ursprünglich aus dem süddeutschen Raum nach Zürich. Sie trugen mit ihrem Pioniergeist viel zur Dynamik und dem wirtschaftlichen Erfolg der Stadt bei.
Auch der Weinbauernsohn Johann Friedrich Gentner sucht sein Glück in der Schweiz. Er kommt als Zwanzigjähriger 1877 von Württemberg in die aufstrebende Stadt Zürich. Ab 1884 wohnt er wie viele zugewanderten Familien in Aussersihl. Er betreibt an der Lagerstrasse 105b einen Kleinhandel für «Wein, Häringe, Sardinen, Senf, Cigarren und Zündwaren en gros».
Später spezialisiert er sich ganz auf das Geschäft mit Weinen. Dies offensichtlich mit Erfolg. In den Familienunterlagen finden sich die Kaufurkunden zweier Häuser an der Militärstrasse 108 und 110. Zur Kellerei im Hinterhof kommen so über zwanzig Mietwohnungen hinzu, welche die Familie zusätzlich zum Weinhandel verwaltet.
Der Entrepreneur Johann Friedrich Gentner mit seiner nicht minder geschäftstüchtigen Ehefrau Karoline Gentner-Aichroth an seiner Seite agiert geschickt. Unermüdlich nutzt er die sich eröffnenden Geschäftsmöglichkeiten in der aufstrebenden Wirtschaftsmetropole und legt so den Grundstein für den Aufstieg seiner Familie. Eiserner Wille, klares Denken, demütiges Herz, arbeiten rund um die Uhr, so kommt man weiter. 1891 wird die Familie Gentner-Aichroth in Aussersihl eingebürgert, 1893, im Zuge der ersten Zürcher Eingemeindung, werden sie Stadtbürger.
Bevor die Familie Gentner-Aichroth Aussersihl verlässt, darf eine Begegnung nicht unerwähnt bleiben: Diejenige mit Dr.med. Maximilian Oskar Bircher-Benner. 1891 eröffnet der Arzt eine Praxis in Aussersihl. Als einer der ersten Patienten meldet sich Johann Friedrich Gentner. Schwindel plagt ihn. «Kein Wunder, bei diesem hohen Blutdruck. Wechseln Sie Ihren Lebensstil», konstatiert der junge Bircher-Benner. «Und was soll das heissen?» «Ruhiger leben und vernünftiger essen. Kein Alkohol (!), wenig Fleisch, und das Gemüse nicht verkocht. Versuchen Sie es, und kommen sie in ein paar Wochen wieder», verordnet ihm der Arzt. «Der Blutdruck sinkt, der Lebensmut steigt», schreibt die Enkelin. (Meyer-Gentner, Hofburg, S. 50)
Und noch etwas schreibt sie: «Der Aarauer Mediziner und der nun Stadtzürcher gewordene Weinhändler hegen um die Jahrhundertwende denselben Wunsch. Beide gedenken den Zürichberg zu ersteigen: Da drüben, ennet der Sihl, ennet der Limmat, leuchten die Hänge des Abends noch lange in der Sonne. Keine langen Schatten, welche die hohen Aussersihler Häuser werfen.» (Meyer, Hofburg, S. 51)
Das Dorf kommt in die Stadt
Durch die Eingemeindung wird Fluntern mit Strassen, Tram, Kanalisation und Elektrizität erschlossen. Johann Friedrich Genter gehört mit unter zu den ersten, der die damit verbundenen Chancen erkennt.
Nach der Jahrhundertwende erlebt Fluntern einen ersten Bauboom. Neben Villen entstehen auch Häuser mit Mietwohnungen. Innert weniger Jahre wandelt sich das Weinbauerndorf und Erholungsgebiet für Sonntagsausflügler so zur bevorzugten Wohnlage des Zürcher Grossbürgertums.
Johann Friedrich Gentner ist von Anfang an dabei. Er verkauft die Häuser an der Militärstrasse und kann nun endlich seinen lang gehegten Plan in die Tat umsetzen: Den Hang hinauf und den Zürichberg erobern.
Wie Fluntern zu zwei Burgen kam
Auf der einen Seiten der bedingungslose Fleiss und Einsatz seiner Frau Karoline Gentner-Aichroth, ihre schwäbische Sparsamkeit und der eiserne Wille, dem Ehemann in jeder Lebenslage «Stecken und Stab» zu sein, auf der anderen Seite der Wagemut und das Flair für gute Geschäftsideen des Entrepreneurs Johann Friedrich Gentner, lassen die Familie am Zürichberg Fuss fassen. (Meyer-Gentner, Hofburg, S. 46)
1905 erwirbt Johann Friedrich Gentner seine erste Parzelle. Das Grundstück in der Kurve Dolder- und Hauserstrasse ist geschickt gewählt. Mit dem Tram und der Dolderbahn, ist es von der Stadt aus gut zu erreichen. Wie um zu sagen, wir sind von weit her gekommen, doch wir sind gekommen und zu bleiben, bekommen die Jugendstil-Häuser den Namen Dolderburg und Dolderschlösschen (Villa Garai).
Aussersihl mit seinen Mietskasernen, engen Strassen und der schlechten Luft ist Vergangenheit. Nun lässt sich – wenn es die Arbeit zulässt – vom Berg oben die Aussicht auf die Stadt geniessen. Wer auf einem Spaziergang heute einen Blick hinauf zur Villa Garai wirft, entdeckt an der Hausfassade die Steinportraits der Gründerfamilie, mit denen sie sich gleichsam verewigt hat.
Doch wer rastet, der rostet. Schon nach drei Jahren werden die Häuser an der Dolderstrasse wieder verkauft, um eine neue Parzelle, diesmal an der Ecke Keltenstrasse / Hofstrasse erwerben zu können. Dort erstellt Johann Friedrich Genter zwischen 1910 und 1912 eine repräsentatives Gebäude: Die Hofburg.
Hofburg: Neues Wohnkonzept als Geschäftsmodell
Es ist mehr als nur ein neues Haus. Dahinter steckt eine für die damalige Zeit neue Geschäftsidee: Das Wohnen auf Zeit.
Anfang des 20. Jahrhunderts strömen immer mehr Geschäftsleute, Diplomaten, Wissenschafter, Schriftsteller, Künstler und Studenten aus aller Welt nach Zürich, die für einen kürzeren oder längeren Aufenthalt eine standesgemässe Unterkunft suchen. Johann Friedrich Genter erkennt diese Marktlücke. Durch den Weinhandel mit den Ansprüchen einer gehobenen Klientel vertraut, bietet er ihnen in der Hofburg einen repräsentativen, grossbürgerlichen Rückzugsort.
Die grosszügigen Wohnungen mit grandioser Sicht über Zürich werden nach dem neusten Stand der Technik mit Gasherd, sanitären Anlagen und Telefonanschluss ausgestattet, geschmackvoll möbliert und mit echten Teppichen und teurem Porzellan versehen. Das Haus an der Hofstrasse 114 bekommt einen Schindler-Lift, der erst 1970 ersetzt werden muss.
Im Adressbuch der Stadt Zürich von 1916 ist zu lesen: «Hofburg, Familien-Appartements. Haus ersten Ranges. Komplett ausgerüstete Familien-Appartments. Neu und modern möbliert. Neuester höchster Comfort. Prachtvolle Höhenlage beim Dolderpark. Grosse Gartenanlagen. Ruhige, staubfreie Lage. Vom Hauptbahnhof 15 Minuten.»
700 Franken pro Monat kostet eine 5-Zimmerwohnung inklusive Dienstbotenzimmer im Kellergeschoss und wöchentlichem Wäscheservice. Das entspricht heute in etwa 6500 Franken. Für die damalige Zeit sicher ein stolzer Preis, wenn man mit den Mieten, die heute für die in Fluntern weit verbreiteten Business – Appartements gezahlt werden, vergleicht, fast schon günstig.
Eine Kindheit zwischen Weinkontor und internationalen Gästen
Die ganze Familie Gentner, neben dem Grossvater und der Grossmutter, die Tanten Carola und Frieda, der Onkel Fritz und Ernst, der Vater von Elisabeth Meyer-Gentner, ihre Mutter Therese und deren Cousine Bertl, die Wäscherin Rosa, die Glätterin Josefine, die Köchin Anna, alle sind sie in die Bewirtschaftung der Hofburg und des Weinkontors eingespannt.
Allen voran der dominante Grossvater Johann Friedrich, «der kein Dreinreden duldet» und der am 4. November 1920 wohl lieber einen Enkel als Nachfolger für die Weinhandlung begrüsst hätte. Die Taufe der Enkelin Elisabeth im St. Anton muss jedenfalls warten, «gilt es doch zuerst einige Fässer naturreinen Beaujolais in Flaschen abzufüllen.» (Meyer-Gentner, Hofburg, S. 19)
Ein Kommen und Gehen
Trotz der stolzen Mietpreise kommen wie von Johann Friedrich Gentner vorausgesehen, die Mieter von der Stadt gern hinauf nach Fluntern, um eine der modernen Wohnungen zu mieten. An die ersten und berühmtesten Mieter in der Hofburg, Albert und Mileva Einstein und an deren Freundin Marie Curie, mag sich Elisabeth Meyer-Gentner nur aus Erzählungen erinnern, dafür an den damals weltberühmten Schauspieler Aleksander Moissi und seine Deklamationen, die aus der Wohnung drangen: «Novemberrrrwinde …».
Andere Familien kommen, um dann in Fluntern zu bleiben. Sie bauen sich nach der Zwischenstation in der Hofburg in der Umgebung eigene Häuser. Weinhandel und Vermietung florieren, der Aufstieg scheint geschafft. So vereint sich die Grossfamilie am 1. August 1931, um die goldene Hochzeit von Karoline Gentner-Aichroth und Johann Friedrich Gentner zu feiern, nicht ahnend, dass schon bald dunkle Wolken aufziehen werden.
Dunkle Wolken
Johann Friedrich Gentner entdeckt um 1920 Amden. Er ist begeistert von der frischen Luft und den imposanten Glarner Alpen. Hier will er für seine Familie ein Ferienhaus bauen, damit sie sich vom anstrengenden Hofburg-Betrieb erholen können. Aus dem bescheidenen Ferienhausprojekt entwickelt sich nicht zuletzt dank dem guten Zureden von Max Bircher-Benner ein weiteres ausgewachsenes Bauvorhaben. Die Warnungen der Gentner-Frauen werden in den Wind geschlagen. Die Frauen sollen mitarbeiten, nicht mitreden. Johann Friedrich Gentner sieht für einmal die Zeichen der Zeit nicht, zudem ist das Vertrauen in den Freund aus Aussersihler-Tagen in Stein gemeisselt. Die «Villa des Alpes», ein Sanatorium für gehobene Gäste aus dem In- und Ausland mit eigener Zufahrtstrasse und Kurbetrieb nach Bircher-Benner, nimmt – finanziert von Johann Friedrich Gentner – 1925 ihren Betrieb auf.
Doch die Freude über das Refugium in der unberührten Bergwelt ist nur von kurzer Dauer. Der Börsencrash von 1929 und die nachfolgende Weltwirtschaftskrise 1929 hinterlassen tiefe Spuren.
Die noblen Kurgäste, die der berühmte Arzt von der Keltenstrasse nach Amden schicken will, bleiben Zuhause. Die Gesundheit muss in diesen schwierigen Zeiten auch bei der haute volée warten. Die Patienten kommen nicht mehr an die Keltenstrasse, geschweige denn in den abgelegenen Kurort am Walensee.
Als die Banken mehr oder weniger von einem Tag auf den anderen die Kredite aufkünden, ist der Konkurs des Kurhauses nicht mehr abzuwenden. Noch schlimmer, die beiden Häuser an der Hofstrasse 114 und 116 müssen zur Begleichung der Schulden verkauft werden. Den Verkauf seiner Hofburg 1936 muss Johann Friedrich Gentner allerdings nicht mehr erleben. Ein Jahr zuvor stirbt er. Seine Enkeltochter Elisabeth Meyer-Gentner, wohnt bis heute als Mieterin in der Hofburg.
Gabriela Mattes, nach Erinnerungen von Elisabeth Meyer-Gentner