Eine der herrlichsten Anstalten Europas – Das Zürcher Cantonsspital

Oberhalb der Stadt gegen den Zürichberg hinauf erstreckten sich bis in die Anfangsjahre des 20. Jahrhunderts Rebberge mit einigen wenigen Siedlungen und Weilern. Der Gemeinde Fluntern, die vor dem Bau der neuen Stadtmauer bis an den Seilergraben herab reichte, gehörte ein grösseres Areal auf der plateauartig flachen «Platte», das «Spithal Amt», bergwärts folgten die Rebberge. Auf dem Spitalamt-Areal baute der Kanton Zürich ab 1835 sein Cantonsspital, das heutige Universitätsspital.

Medizin statt Militär
Die Befestigungen der Stadt, die während der napoleonischen Koalitionskriege 1799 und 1802 ihre militärtechnische Bedeutung längst eingebüsst hatten, wurden in den 1830ern zur politischen Belastung gegenüber der Zürcher Landschaft. Sie sollten abgebrochen werden. Dagegen gab es in Zürich zunächst Widerstand: «Unter der Führung des Stadtrates David Nüscheler entspann sich ein hitziger Kampf zu Erhaltung der Festung, ohne welche Zürich zum Dorf herabsinken und allen räuberischen Überfällen preisgegeben sein würde» (Zurlinden, Hundert Jahre Stadt Zürich, S. 90) Doch schliesslich wurde in einer zehnstündigen Grossratssitzung im Januar 1833 der Abriss der Befestigungswerke beschlossen.
Plötzlich war viel Land verfügbar, auf der westlichen Seite für städtische Nutzungen, auf der östlichen kantonalen Seite für repräsentative Bauten des Kantons. Als erstes baute der Kanton dort – ein Cantonsspital.

Ein Novum – Aborte mit Wasserspülung
Das Gebiet des früheren Spital-Amts, auch als Schönhaus-Gut (und als Neuhausgut) bekannt, wurde von einer Kommission für den Neubau als geeignet befunden, nicht zuletzt, weil es dem Spital bereits gehörte und «sich auch ein Kirchhof in der Nähe» befinde. Ein engagierter Kämpfer für ein neues Spital war der 1833 bei der Universitätsgründung berufene Professor für Innere Medizin Johann Lukas Schönlein.
Das Projekt «Cantonsspital» wurde, damals nicht selbstverständlich, europaweit ausgeschrieben. Den Wettbewerb 1835 entschieden zwei Architekten für sich: Gustav Albert Wegmann (1812–1858) und Leonhard Zeugheer (1812–1866). Die beiden waren damals gerade 23 Jahre alt. Aber sie waren innovativ: Beim Bau des Cantonsspitals wurde die erste Eisenbahn der Schweiz eingesetzt, über die Grundmoräne wurde eine Fundamentbetonplatte mit Herosé’schem Kalk aus Aarau eingebracht, es wurden die Steine aus den abgebrochenen Verteidigungsschanzen wiederverwendet, das Spital sollte mit fliessendem Wasser ausgestattet sein, mit Quellwasser aus dem Strickhofareal, es war das erste Gebäude Zürichs, in welchem Aborte mit Wasserspülung, 22 an der Zahl, eingebaut wurden, die Gebäude waren optimal auf die Besonnung ausgerichtet, sie hatten ein separates Haus für ansteckende Krankheiten, das Hauptgebäude war zweigeschossig mit je einem Flügel für männliche und für weibliche Patienten. Das Raumprogramm umfasste auch «einen Saal, der als Betsaal (!) und als Hörsaal für medizinische und chirurgische Vorlesungen zu gebrauchen war. Der mittlere Teil war dreistöckig, oben für die Direktion eingerichtet und unten für den grossen Weinkeller: Gemäss Spital-Reglement von 1878 «erhalten die männlichen Angestellten (…) täglich15 Deciliter Dienstenwein». Diese Weine stammten unter anderem vom Schmelzberg und von den Rebhängen bei der Fluntermer Allmend. Die weiblichen Angestellten erhielten eine kleinere Ration Dienstenwein, die Patientinnen und Patienten zur Stärkung jedoch edlere Tropfen von den Rebbergen am See. – Die interessierte Nachfrage von Assistenzärzten 2018 nach Gültigkeit dieses Reglementspassus musste leider abschlägig beantwortet werden.

Ein grosser Wurf – Der Häfeli-Moser-Steiger Bau
100 Jahre nach dem ersten Kantonsspital war aus betrieblichen, baulichen aber auch medizinischen Gründen ein Neubau des Spitals notwendig geworden. Entstanden ist ab den 1940er Jahren ein überaus durchdachtes Bauwerk aus betrieblicher und ein grosser Wurf der Schweizer Moderne aus architektonisch-städtebaulicher Sicht. Das Büro Haefeli-Moser-Steiger (HMS) gestaltete in der auch (bau-) materiell schwierigen Zeit während des 2. Weltkrieges ein Ensemble, das für viele Jahrzehnte organische Weiterentwicklung erlaubte, und das im Folgejahrhundert mit den prägenden Bettenhäusern und dem wertvollen Spitalpark von Gustav Ammann erhalten bleiben wird.
Spannend war das Bauvorgehen: Weil das alte Spital bis zum Bezug des Neubaus weiter funktionieren musste, wurde das diagonal im Schönhaus-Gut liegende langestreckte Hauptgebäude von den HMS-Neubauten auf drei Seiten umfasst: der Polikliniktrakt mit dem Haupteingang entlang der städtischen Rämistrasse, das gestaffelte Bettenhaus «West» entlang der aufsteigenden Schmelzbergstrasse, der Bettenhaustrakt «Ost» sonnenexponiert mit Blick über Stadt und See zum Uetliberg und den Voralpen, dahinter die weiteren Nutzbauten wie Operationstrakte und Labors.
Als einziger Zeuge des ersten Spitalbaus konnte das äusserste südliche Gebäude erhalten werden: die klassizistische Anatomie. Sie bietet nun Raum, um in Ausstellungen und Vorträgen der Bevölkerung Zürichs die künftige Entwicklung des Spitals in seinem dritten Jahrhundert als Teil des geplanten «Neuen Hochschulgebietes Zürich Zentrum» aufzuzeigen.
Und noch etwas erinnert an die Anfangszeit der 1830er Jahre: Über ein Dutzend damals gepflanzte Baumgruppen haben die Zeiten bis heute überstanden, und erfreuen als mächtige grossartige Bäume noch heute.
Den hervorragenden Ruf, den sich die medizinische Fakultät der erst 1833 gegründeten Universität Zürich erwarb, verdankt sie allerdings primär einigen ihrer prominenten Professoren wie Johann Lukas Schönlein, Theodor Billroth, Rudolf Ulrich Krönlein, Ferdinand Sauerbruch und Otto Naegeli.

Lorenzo Käser