Das Zuchthaus droht — Haben Sie das Vergnügen aufs Freundschaftlichste zu salutieren und mit Achtung zu verharren
Die Geschichte vom «löblichen Altbaumeister» Johannes Fehr, der auf grossem Fuss lebte und im Zuchthaus landete – ein Sittenbild aus dem Fluntern vor 200 Jahren.Walter Altherr blätterte in alten Protokollen des Fluntermer Gemeinderates.
So sehr viel hat sich in den vergangenen Jahren im Umgang der Obrigkeit mit den Bürger/innen nicht geändert. Entscheide waren und sind zu akzeptieren und Schluss. Eines aber doch ist anders: Wo heute Formulierungen wie «Der Einspruch wird abgelehnt. Im Auftrag» oder bestenfalls ein «MfG» üblich sind, gab man sich früher noch mehr Mühe: «Haben Sie das Vergnügen aufs Freundschaftlichste zu salutieren.»
Fluntern vor gut 200 Jahren. Erst seit 1798 ist Fluntern eine selbstständige Gemeinde. Zuvor bildete es zusammen mit Unterstrass, Oberstrass und Hottingen die Obervogtei Vier Wachten. Nun gibt es in Fluntern auch einen eigenen Gemeinderat, der sich mit den Problemen seiner damals weniger als 1000 Einwohner beschäftigen muss.
Neben den Namen der Familien Notz und Siber taucht in den Protokollen des Gemeinderates immer wieder auch der der Familie Fehr auf.
Die böse Schwiegertochter
11. Juni 1808: Altbaumeister Johannes Fehr ist mit einer Anzeige an den «President» des Fluntermer Gemeinderates gelangt, nämlich dass sein Vetter Heinrich Fehr am «letztverwichenen Montag, als den 6ten dies zu ihm gekommen seye, u: ihme geklagt habe, wie übel er von seiner Sohnsfrau» – also von seiner Schwiegertochter – «seit einiger Zeit behandelt worden seye, – so dass er nicht mehr bey Hause bleiben könne noch wolle: – Er, alt-Baumstr. wolle ihn also lebenslänglich beibehalten.» Johannes Fehr ist dem nicht abgeneigt, aber natürlich nicht umsonst, sondern gegen Entgelt. Darüber kommt es zwischen den beiden Vettern bald zu Streit, ein Streit, den der Gemeinderat zu entscheiden hat. Und der fällt am 30. Juli 1808 ein wahrhaft salomonisches Urteil: «Nach vielfältiger Erdauerung dieses Geschäfts … ward einhellig beschlossen, derfahls für einmahls nichts zu verfügen.»
Nur wenige Jahre später taucht der Name Johannes Fehr wieder in den Protokollen des Gemeinderates auf. Jetzt aber unter einem gänzlich anderen Aspekt.
Liederlicher Lebenswandel
Johannes Fehr scheint es gut zu gehen. Seine Familie zählt zu den «Mehrbesseren» in Fluntern. 1787 hatte ihn das «löbliche Spitalamt» zum Baumeister berufen. Den Titel «Baumeister» und später «Alt-Baumeister» trägt er gerne. Dann allerdings gibt es einen Knick im Leben des Johannes Fehr. Der Grund: Seine Liebe zu den geistigen Getränken. Höchstwahrscheinlich war er auch Stammgast im «Gesellenhaus» am Vorderberg, wo sich das «zechende Volk» Flunterns traf. Mit Folgen für Johannes Fehr.
Im Protokoll des Fluntermer Gemeinderates vom 10. Juni 1811 ist nachzulesen: «Allein wegen schlechter Wirtschaft u. überhaupt wegen schlechter Oeconomie versetzte er sich so tief in Schulden, dass er, um der Schande der Entdeckung zu entgehen, den abscheulichen Entschluss fasste, sich selbst das Leben zu nehmen. Die Tat gerieth ihm aber nicht ganz, sondern er ward durch die thatkräftigste Hülfe von Aerzten beym Leben erhalten.» Nach seiner Genesung im Spital versprach «Altbaumeister» Johannes Fehr «Besserung seines bisher geführten Lebenswandels.» Im April 1809 kam der «völlig gesund hergestellte altbmstr. Fehr nach seiner Heimath auf Fluntern, allwo ihm sein Vater eine Wohnung in seinem Hause gab.»
Ein Hochstapler
Von der versprochenen «Besserung seines Lebenswandels» konnte allerdings keine Rede sein. Bald war der Alt-Spitalbaumeister wieder in den «Wirths- und Schankhäusern» anzutreffen. Und nicht nur das. Protokoll des Fluntermer Gemeinderates vom 10. Juni 1811: «Er reiste ohne das geringste Vorwissen seines Vaters u. seiner Brüder, unter dem Schein eines wohlhabenden oder bemittelten Mannes ins Berngebieth, u. sich alldorten als ein bedeutender Mann zeigend, ging er auch im Canton Argau, mit einem reichen Güterbesitzer einen Lehen-Tractat ein, für die Uebernahme eines grossen Bauernhofs, wofür er als Lehenszins jährlich 1000 f hätte bezahlen» müssen. Damit aber nicht genug: Am allerärgsten aber trieb er sein liederliches Leben sint dem Monat Apl. d.j.: von welcher Zeit an, mied er die Arbeit ganz, u. schwermte dagegen Tag u. Nacht in allen Wirths- u. Schenkhäusern». Für einen Pferdekauf versetzte er seine «Silberwaar» und jene seiner Frau. Er kaufte eine Uhr, ein Kalb und einen Ochsen, ohne diese bezahlen zu können und «gab deswegen den Leuten die schändlichsten Lügen vor … . Er versetzte die Uhr und weitere Teile des Weiberguts … . Später gab er auch ein Goldene Uhr, die er auf die unerlaubteste Art in Wiedikon an sich brachte, in Zahlung.» Resultat war, dass die Ehefrau und das Kind von der Familie Fehr unterhalten werden mussten. Irgendwann muss es der Familie Fehr gereicht haben. Sie veranlassten die Unterbringung des schwarzen Schafes im Zuchthaus.
Zürichs Strafanstalt befand sich damals auf dem Gelände des ehemaligen Klosters Oetenbach. In seinem Westflügel befand sich das «Schellenwerk», wo, im Unterschied zu den gerichtlich Verurteilten, das «unnütze und lasterhafte Volk» untergebracht war und durch Arbeit gebessert werden sollte.
Für Altbaumeister Johannes Fehr war es ein tiefer Fall. Vor der für seinen Fall zuständigen «Löbl. Verhör-Commission – des Löbl. Bez.Gerichtes Horgen» versprach er «Besserung und verlangte dieser Strafe entledigt zu werden.» Der Verhörrichter folgte dem Wunsche vom Altbaumeister und empfiehlt Funterns Gemeinderat die «Befreyung von der ferneren Inhaftierung.» Diesem Wink mit dem Zaunpfahl folgt der Gemeinderat: «Da die Herren Verhörrichter den Altbmstr. Fehr um Befreyung der ferneren Inhaftierung empfohlen haben, so habe der Gemeinderath nicht entgegen seyn können.» Allerdings bittet der Gemeinderat, die Entscheidung auszusetzen, bis sich die Familie Fehr dazu äussern kann. Ohne Erfolg bei der übergeordneten Behörde. Die entlässt den Altbaumeister Fehr am 9. Juli 1811 aus dem Zuchthaus. Gemäss Protokoll vom 10. Juli wird den Verwandten – dem Vater Altg`schwrn. Jacob Fehr und den drei Brüdern Friedensrichter Heinrich, Altwachtmeister Jacob von Engstringen und Caspar Fehr sowie des Vetters AltPräsident Siber – dieser Entscheid eröffnet. «Sowohl die Verwandten als auch der Gemeinderat äusserten ihre Entrüstung, dass das Gericht einen Entscheid gefällt hatte, ohne die Verwandten vorerst angehört zu haben.»
Über den Ausgang der «Causa Altbaumeister Johannes Fehr» findet sich nichts in den Protokollen des Fluntermer Gemeinderates. Sehr wahrscheinlich aber ist, das die Fluntermer als brave Bürger das Verdikt der Obrigkeit akzeptiert haben und dabei «aufs freundschaftlichste salutierten und in Achtung verharrten.»
Walter Altherr