Das tägliche Brot — Einkaufen in Fluntern

2009 schloss die Bäckerei Zangger an der Platte ihr Geschäft, gleiches konnte man ein Jahr später von der Filiale der Metzgerei Reif am Toblerplatz berichten. Im Jahre 2012 folgte der Comestible Ernst.
Es ist zu befürchten, dass auch die Kunden der beiden Quartierläden an der Voltastrasse und am Spyriplatz bald vor verschlossenen Türen stehen werden.
Quartierläden haben in der heutigen Zeit einen schwierigen Stand. Die Grossverteiler machen ihnen das Leben mit einem umfassenden Angebot und attraktiven Preisen schwer. Für viele Detaillisten und Spezialgeschäfte stimmen Aufwand und Ertrag nicht mehr überein und zwingen sie zur Geschäftsaufgabe.
In anderen Fällen – wie bei der Bäckerei Zangger – schreckt die nächste Generation vor dem grossen Arbeitspensum zurück
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Einkaufen um die Ecke
Auch wenn das Tram ab 1924 bis zur Allmend Fluntern fuhr und die Stadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar war, für die täglichen Besorgungen lag die Stadt in weiter Ferne. Autos besassen nur wenige, Frauen schon gar nicht. Wer sich nicht beliefern lassen konnte, kaufte im Quartier ein.
Zur täglichen Tour vom Bäcker über den Metzger zum Käser und zum Konsum zwang auch die Tatsache, dass es noch nicht in allen Haushaltungen einen Kühlschrank gab.
Wichtigstes Nahrungsmittel neben der Milch war das tägliche Brot. So finden sich Im Adressverzeichnis der Stadt Zürich von 1929 in Fluntern die Bäckerei Wolpert an der Siriusstrasse 6, die Bäckerei Friedrich an der Hochstrasse 48, die Bäckerei Frick an der Zürichbergstrasse 69 und die Bäckerei Boller an der Hinterbergstrasse 69.
An die Bäckerei Frick erinnert sich Elisabeth Meyer-Gentner gut: «Die Bäckerei Frick war im Quartier für seine gute Brotqualität bekannt. Allerdings ärgerten sich viele Hausfrauen über die Stufen, die ins enge Geschäft hinabführten. Nicht wenige stolperten mit ihren schweren Einkaufskörben am Arm geradezu in das Verkaufslokal. Am Sonntag nach der Kirche wurden bei Fricks Crèmeschnitten, Mohrenköpfe und andere Stückli für den Sonntagskaffee gekauft. Gerne gingen wir Kinder nach der Schule zum Frick. Allerdings schaute das Fräulein Frick genau darauf, dass wir das Gebäck des Vortages erhielten und nicht etwa die frische Ware.» Elisabeth Widmer-Zürrrer erinnert sich ebenfalls an die Bäckerei und an die Verkäuferin Frau Schwiin, deren Namen sie als Kind so lustig fand.
Später war der Bäcker Haas an der Gladbachstrasse beliebter Einkaufsort. Das Ladenlokal befand sich an derselben Stelle, an der die Bäckerei Honold heute eine Filiale betreibt. Herr Haas war mehr als ein Bäcker, er war ein Künstler. Mehr als ein Quartierbewohner erinnert sich an die traumhaften Gipfeli, die zwar klein und schrumpelig aussahen, aber schlicht ein Gedicht waren, nicht zu reden von den überirdischen Zimtsternen, der Charlotte Russe und den himmlischen Käseküchlein.
Für den grossen Einkauf gab es neben der Bäckerei Frick einen Konsum und vis-à -vis Giuseppe Zambellis überaus beliebtes Gemüse- und Früchtegschäft.
Ein besonders breites und vielfältiges Einkaufsangebot gab es an der Platte, früher in Anlehnung an die Tramstation von den Quartierbewohnern Phönix genannt.
Das Vorstadtquartier war das bevölkerungsreichste Quartier Flunterns. Rund um die Kreuzung Platten / Zürichbergstrasse befanden sich zwei Konditoreien, unter anderem die bereits erwähnte Konditorei Zangger, die Metzgerei Haller, die auch am Vorderberg eine Filiale führte und drei Lebensmittelgeschäfte.
Doch auch weiter hangaufwärts gab es Einkaufsmöglichkeiten, zum Beispiel beim Colonialwarenladen von Jacob Hess oder beim Comestible Granato Fischer am Toblerplatz. An der Hochstrasse befand sich ein «Consum Denner» mit Molkerei und Salzwaage. Bis hinauf zur Krähbühlstrasse und weiter ins Klösterliquartier reichten die Einkaufsmöglichkeiten für den täglichen Bedarf.

Milch frei Haus
Eine attraktive Alternative zum Einkaufskörbe schleppen waren die Hauslieferungen. Diese wurden entweder dem Ausläufer übertragen oder per Lieferauto ausgeführt. Voraussetzung war ein Telefonanschluss auf beiden Seiten! So konnten in Ruhe Fleischplatten, Früchte, Gemüse, Spezialitäten aller Art und Wein bestellt werden. Die Hauslieferung hatte zudem den Vorteil, dass nicht immer das ganze Quartier wusste, was bei der anderen Familie auf den Tisch kam.
Ebenfalls ins Haus geliefert wurde die Milch. Tetrapacks mit Past- und UHT Milch kamen erst in den 1960er Jahren auf. So wurde in den meisten Familien am Vorabend das Milchchesseli zusammen mit dem Milchbüchlein und der entsprechenden Bestellung – oft auch Eier und Käse – in den Milchkasten gestellt.
Nur bei speziellen Anlässen und besonders vor Weihnachten änderte sich das Einkaufsverhalten. Dann wurde auch in die Stadt telefoniert, um sich von Bianchi ein Poulet, das damals noch als Luxusgut galt, eine Weihnachtsgans, Fische oder von Sprüngli eine Torte liefern zu lassen.
Ob man selber einkaufte oder sich die Nahrungsmittel nach Hause liefern liess, in die Restaurants im Quartier kehrte man höchst selten bis gar nie ein. Gekocht wurde – in vielen Haushaltungen unter der Mithilfe von ein bis zwei Köchinnen – in der eigenen Küche, die entsprechenden Mahlzeiten am Familientisch eingenommen.

Der Griff ins Zeltliglas
Oft wurden auch die Kinder losgeschickt, um Vergessenes und Vorbestelltes zu besorgen. Der Gang zu den Metzgereien war besonders beliebt, weil es immer noch ein Wurstrugeli gab. In anderen Geschäften warteten die Kinder auf den heiss ersehnten Griff der Ladenbesitzerin ins grosse Zältliglas bei der grossen Registrierkasse oder man erhielt das Weggli vom Vortag oder Zerbrochenes zugesteckt. Schliesslich waren die Kinder die Kunden von morgen und Grosszügigkeit sprach sich bei den Müttern herum.
Der aufwendige Einkaufsalltag bescherte den Kindern die eine oder andere Gelegenheit, ein paar Rappen Sackgeld zu verdienen. Überall gab es etwas zu helfen, einzupacken und auszutragen. Mehl, Zucker, Salz, Kartoffeln etc. wurden ja noch in grossen Säcken aufbewahrt und die von der Kundin gewünschte Menge musste erst in kleine Papiersäcke abgefüllt und gewogen werden.
Heute kauft nur noch knapp ein Drittel der BewohnerInnen im Quartier ein. Daran sind nicht zuletzt «die Frauen schuld». Sie sind zwar immer noch mehrheitlich für die Beschaffung der Nahrungsmittel zuständig, aber vielfach auch berufstätig. Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, heisst möglichst schnell und effizient einkaufen – nach der Arbeit bei den Grossverteilern, am Wochenende im Shoppingcenter oder zur späten Stund mit einer online Bestellung im Internet. Die zeitaufwendige Einkaufstour von einem Spezialgeschäft zum anderen gehört der Vergangenheit an.

Gabriela Mattes, nach Erzählungen von Quartierbewohnerinnen