Attische Nächte am Zürichberg —Der Germaniahügel

Er ist einer der attraktivsten Orte Zürichs: Der Hügel unterhalb des Zürichbergs mit Sicht auf die Alpen und den Zürichsee. «Rigiblick» heisst er heute. Und er hat eine ungewöhnliche Geschichte. Allerdings unter anderem Namen.

An der Grenze der damals noch selbstständigen Gemeinden Oberstrass und Fluntern gelegen, nutzte Mitte des 19. Jahrhunderts die deutsche Studentenverbindung «Germania» die ehemalige Ziegenweide als «vaterländische Begegnungsstätte». «Germaniahügel» wurde er deshalb fortan genannt.
1864 erhielt die «Germania» von der Gemeinde Oberstrass die Genehmigung, hier Tische und Bänke aufzustellen. Und «dort pflegten sie», wie Paul Wislicenius in seiner «Geschichte der deutschen Studierenden in Zürich» berichtet, «gelegentlich eine attische Nacht zu feiern.»
Der Name geht auf den Römer Aulius Gellius zurück, der in nächtlicher Arbeit gelehrte Geschichten aus der Antike niederschrieb.
So gelehrt und seriös scheint es bei den «attischen Nächten» der Studenten nicht immer zugegangen zu sein, denn sie fanden gerne «ausserhalb der Polizeistunde» statt.
In die Geschichte Zürichs eingegangen ist der Name «Germaniahügel» als 1875 das Grab Georg Büchners vom ehemaligen Friedhof Krautgarten auf ihn verlegt wurde. Die Zeitschrift «Gartenlaube» berichtete:
«Gedächtnisfeier für Georg Büchner auf dem Germaniahügel bei Zürich»

Nachdem sich die hiesige «Gesellschaft deutscher Studierender der Sache angenommen hatte, wurden die Gebeine des allzu früh vollendeten edlen jungen Mannes, um sie der drohenden Umwälzung auf dem längst geschlossenen Begräbnißplatz zu entziehen, hoch oben am «Zürichberge» ziemlich nahe am Waldesrande, unter der «deutschen Linde» auf dem «Germaniahügel» von neuem beigesetzt, an einem Orte, wo sie wohl schwerlich eine weitere Störung zu erwarten haben. …
Als nun mehr als eine Woche zuvor in der Stille die Übertragung der Gebeine und die Aufrichtung eines Denksteins mit entsprechender Inschrift auf dem genannten Hügel erfolgt war, fand am Sonntag den 4. Juli nachmittags eine einfache Gedächtnißfeier auf und an demselben statt. Es waren dazu die… Geschwister des Gefeierten, Herr Wilhelm Büchner aus Pfungstadt, Abgeordneter und Fräulein Luise Büchner, Verfasserin von «Die Frauen und ihr Beruf» und andern Schriften, herbeigekommen…

«Herr Krupp, Neffe des Anfertigers unserer wirksamen Geschütze, trägt die Fahne.»
Ein stiller Zug bewegte sich um vier Uhr von dem Polytechnicum und der Universität den Berg hinauf. Voran wehete ihm die alte schwarz-roth-goldene Fahne, welche, herrührend von einer ehemaligen hiesigen burschenschaftartigen deutschen Studentenverbindung «Teutonia», als Symbol der über das «Reich» weit hinausgehenden deutschen Gesamtnation, von einem hochgewachsenen jungen Manne, Herrn Krupp, dem Neffen des vielgenannten Anfertigers unserer wirksamen Geschütze, den steilen Berg hinaufgetragen ward. Ihr folgten zunächst die Brüder dem Gefeierten nebst den Mitgliedern des Ausschusses und einigen anderen Theilnehmenden und dann die genannte Gesellschaft der deutschen Studierenden, sowohl von Universität wie Polytechnicum.
Die Masse des Zuges nahm am oberen Fuße des Hügels Stellung, Angehörige und Führer nebst Fahne, sowie einige Frauen, auf ihm selbst, die versammelte zahlreiche Menge ringsumher. Vier Redner wendeten sich an die Versammlung… Die Vorträge wurden durch zwei von der Versammlung gesungene Lieder, das Burschenschaftslied «Wir hatten gebauet», und Hoffmann’s von Fallersleben «Deutschland, Deutschland über Alles», eingerahmt….
Am Abend vereinigte eine würdige gesellige Feier die Theilnehmer… im «Café Literaire». Ansprachen mit Toasten, inhaltreich in heiterem Ernste, Lieder – unter andern die «Wacht am Rhein» –, füllte die gemüthliche Versammlung aus…» (Die Gartenlaube, 1875, Heft 30, Seite 516)
140 Jahre später wurde das Grab Georg Büchners durch die Stadt Zürich restauriert. «Durch die Restaurierung ist sichergestellt, dass das Grab- und Denkmal auch für die nächsten Jahrzehnte in würdigem Zustand erhalten bleibt» (Medienmitteilung Stadt Zürich, 17.2. 2015)
Die Bezeichnung «Germaniahügel» ist heute nicht mehr gebräuchlich. «Attische Nächte» finden allerdings wieder dort statt, Allerdings solche der seriösen Art: Im Theater «Rigiblick» direkt gegenüber Georg Büchners Grab.

Martin Kreutzberg 2021