Wer vom Krieg will leben
«Will vom Krieg leben, wird ihm wohl müssen auch etwas geben», so der Feldwebel zu Anna Fierling, der Mutter Courage in Brechts Theaterstück «Mutter Courage und ihre Kinder». Anna Fierling gab ihre drei Kinder an den Krieg, Regula Engel, die «Mutter Courage von Fluntern» sieben Söhne und ihren Mann.In Fremden Diensten
Über 500 Jahre, seit dem 14. Jahrhundert, dienten Schweizer für Geld in den unterschiedlichsten Kriegen. Es war ein einträgliches Geschäft. Für die Besitzer der Schweizer Regimenter, die Patrizierfamilien von Diesbach, von Salis, von Sprecher oder den Fürstabt von St. Gallen. Auch in dem zünftisch regierten Zürich engagierten sich einige reiche Geschlechter im Solddienst. Sie vermieteten ihre Privatregimenter an die «Meistbietenden», an die Fürsten Europas für deren Kriege. Die Offiziere rekrutierten sich aus der Oberschicht, die Soldaten aus dem damals sehr armen Volk. Neben ihren Einkünften als Regimentsinhaber profitierten die Besitzer «von Geldzahlungen ausländischer Fürsten … . In allen Kantonen sorgten die im fremden Kriegsdienst involvierten Familien erfolgreich dafür, dass die lukrativen Teile des Söldnerwesens in ihrer Hand blieben.» (Höchner, Göttingen, S. 33). Und sie wurden reich dabei. Noch heute dokumentieren das prächtige Herrschaftshäuser in Fribourg oder Graubünden.
Reine Männergesellschaften waren sie nicht, die Schweizer Söldnertruppen, die bis ins 19. Jahrhundert durch ganz Europa von Krieg zu Krieg zogen. Frauen und auch Kinder gehörten zum Tross, den die Regimenter wie einen Schweif hinter sich her zogen. Da deren Besitzer davon ausgingen, dass die Soldaten ihre Verpflegung sich selbst beschafften, «wurde die gewaltsame Entwendung von Lebensmitteln und Material bei der Landbevölkerung von den Offizieren weitgehend toleriert … das Beutemachen und die Plünderung eingenommener Orte unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt …» (Höchner, Göttingen, S. 237), spontane Einzelaktionen der gemeinen Soldaten dagegen hart bestraft.
Zuverlässig und vertragstreu
Sie waren beliebt und gefragt von den eigentlich permanent gegeneinander Krieg führenden Königen, Herzögen oder Kirchenfürsten Europas, die Schweizer Söldnerregimenter de Castella, von Erlach, von Salis, das «Zürcher Regiment», das Regiment der Fürstabtei St. Gallen oder jenes des Rudolf von Diesbach, in dem Regula Engels Mann Florian bis zum Leutnant aufstieg. Sie galten als zuverlässig und vertragstreu. Wie im August 1792 beim Sturm auf die Tuilerien.
«In der Nacht vom 9. zum 10. August läuteten in Paris die Sturmglocken, bei Sonnenaufgang waren die Tuilerien von Tausenden von Revolutionären umzingelt … . Verteidigt wurde der Palast von etwa 1000 Schweizer Gardisten. Die Schweizergarde war die einzige Einheit in Paris, auf die sich der König verlassen konnte. Die Anwesenheit der Schweizergarde erwies sich aber als kontraproduktiv: Die Truppe stellte als Versinnbildlichung des ‹Ancien Régime› für weite Teile der Bevölkerung eine Provokation dar.» (Höchner, Göttingen, S. 211) Es war ein aussichtsloser Kampf für einen König, der längst das Weite gesucht hatte. Die Verluste der Schweizergarde an diesem Tag waren hoch: «300 Tote und 175 Vermisste, dazu kamen 56 Soldaten und zwölf Offiziere, die massakriert oder hingerichtet wurden.» (Höchner, Göttingen, S. 212)
Mit der Französischen Revolution begann sich denn auch das Ende des Schweizer Söldnerwesens abzuzeichnen.
Verkauf von Leib und Seele für Geld
Kritik am Söldnerwesen hatte es in der Schweiz schon lange vorher gegeben. Ulrich Zwingli, der Reformator, warnte bereits 1510 vor den negativen Folgen des Solddienstes auf den Zusammenhalt der Eidgenossenschaft. Kritisiert wurde vor allem der «schlechte Einfluss den die Fremden Dienste auf die Moral und Sitten in der Eigenossenschaft» (Höchner, Göttingen, S.211) hätten. Schwerer wogen Bedenken ökonomischer Art: «Die Soldaten verliessen», so Frédéric Studer 1784, «ihre Heimat im Alter von 16 bis 20 Jahren und kämen erst 15 bis 20 Jahre später aus der Fremde zurück. In dieser Zeit hätten sie nichts Nützliches für ihr Vaterland geleistet. Zurückgekehrt seien die alten Soldaten unnütz und im schlimmsten Fall verkrüppelt und der Unterstützung bedürftig.» Nachhaltige Wirkung hatten diese Bedenken allerdings nicht. Zu lukrativ waren die Geschäfte, die sich mit dem «Verkauf von Leib und Seele» machen liessen.
Gut 500 Jahre prägte das Söldnerwesen die Eidgenossenschaft. Die letzten Söldnereinheiten wurden 1859 entlassen, elf Jahre nach der Gründung des Schweizer Bundesstaates.
«Will vom Kriege leben, wird ihm wohl müssen auch etwas geben»: Regula Engel, die «Mutter Courage von Fluntern» stirbt 1853 «armengenössig» in Zürich, die Familie von Diesbach, bei deren Regiment sich ihr Mann Florian einst verdingt hatte, kauft sich ein Schloss in Frankreich.
Martin Kreutzberg