Verschacherung einer Kirche für Tanzzwecke

Streit im «Grossen Stadtrat» von Zürich
Mittwoch, 23. September 1931, 17 Uhr

Dr. Häberlin (Freisinnige) begründet folgende Interpellation: «Hält der Stadtrat nicht dafür, dass die Vermietung der alten Kirche Fluntern an eine Tanzschule ein bedauerlicher Missgriff war, und dass deshalb dieser Mietvertag so bald wie möglich wieder zu lösen sei?»
Der Interpellant betont, dass diese Verwendung einer Profanation gleichkommt. Für die Personen, die in der früheren Kirche Fluntern getauft, konfirmiert oder getraut worden sind, hat es etwas Stossendes, wenn dort heute bei Jazzmusik Unterricht in Ballett und Akrobatik erteilt wird.
Die Interpellation wird von Stadtrat Kaufmann beantwortet.
«Dir alte Kirche Fluntern gehört seit 1907 der Stadt. Seit 1920 wird sie nicht mehr für gottesdienstliche Zwecke benutzt. Sie war bisher an verschiedene Kunstmaler und Bildhauer sowie an ein Pianohaus als Lagerraum vermietet. In diesem Sommer bewarb sich Frau Wickhalder-Schoop um die leerstehende Kirche. Da andere Interessenten nicht da waren, glaubte die Liegenschaftsverwaltung, dass diese Art Verwendung nichts Stossendes habe, da es sich nicht um ein gewöhnliches Tanzinstitut handelt und Frau Wickihalder-Schoop allgemeine Achtung geniesst. Übrigens hat der Tanz als Ausdruck seelischer Gefühle seit jeher kultische Bedeutung gehabt … . Der Stadtrat möchte mit einer Kündigung zuwarten, bis sich zeigt, ob weitere Klagen erhoben werden.»
Schoch (evp) protestiert gegen die «Verschacherung» einer Kirche für Tanzzwecke. Namentlich im Zwinglijahr ist dieses Vorkommnis betrüblich.
Fausch (Kommunisten) ist der Ansicht, dass die Stadt mit der Vermietung der Kirche Fluntern richtig gehandelt habe. Man könne aus einer Kirche eventuell auch eine Bedürfnisanstalt machen, wie man in Russland Ställe daraus machte.
Der Redner schliesst unter heftigen Pfuiworten.
Traber (Sozialisten) bemerkt, dass aus alten Kirchen in Zürich schon Metzgereien und ähnliche gemacht worden seien. «Es ist Muckertum, mit solchen Äusserlichkeiten, religiöse Gefühle verbinden zu wollen.»
Fischer (CVP) ist der Ansicht, die Vermietung der alten Kirche Fluntern an eine Tanzschule sei eine Entgleisung.
Heeb (Sozialisten) findet, es wäre mehr Grund vorhanden, sich über die modernen Kirchenpaläste und luxuriösen Pfarrhäuser zu entrüsten, als über die vernünftige Verwendung eines alten Kirchleins.

Martin Kreutzberg