Kirche als Tanzlokal

Zehn Jahre lang hatte sich niemand in Fluntern für die «Alte Kirche» interessiert. Als aber die Stadt Zürich sie 1931 an die international renommierte Ausdruckstänzerin Trudi Schoop vermietete, gab es umgehend massive Proteste. Zwar war die Rechtslage eindeutig, wie die Kirchenpflege Fluntern einräumte: «Von allen Seiten wird die Kirchenpflege angefragt, wieso sie derartiges dulde. Demgegenüber müssen wir unseren Kirchengenossen mitteilen, dass die alte Kirche Fluntern nicht der Kirchgemeinde, sondern der Stadt gehört… In den neunziger Jahren wurde sie gegen ein Stück Land … abgetauscht. … Man erwartete damals den Abriss der Kirche …» (Fluntermer Kirchenbote, 1931)
Und der Finanzvorstand der Stadt Zürich, Kaufmann, wies am 5. Sept. 1931 die Kirchgemeinde Fluntern darauf hin, dass die alte Kirche «schon seit einer Reihe von Jahren nicht mehr kirchlichen Zwecken diene» und versprach, dass «bei den geringsten Unzukömmlichkeiten von seiten der Finanzverwaltung für rasche Abhilfe gesorgt wird». (Kaufmann, Brief an Kirchgemeinde Fluntern, 5.9.1931)
Zur Beruhigung der Gemüter trug das nicht bei: «Es stimmt, es ist so: Der Vertrag mit der Tanzdiva Gertrud Schoop ist unterschrieben! Wir brauchen also künftig nicht mehr nach Moskau zu gehen, wenn wir der Umwandlung von Kirchen in Kinos oder Tanzstätten beiwohnen wollen, sondern geniessen solche Symptome des Fortschritts nun auch in Zürich. … Gertrud Schoop geht mit ihrer Kunst gerne nahe an jene Tänze heran, bei denen dünne Schleier eine grössere Rolle spielen als andere Kleiderstoffe …» (Evang. Volkszeitung, 11.9.1931)
Auch Trudi Schopp versuchte zur Versachlichung der erregten Diskussion beizutragen. Sie wandte sich mit einem Brief an den Stadtrat, in dem sie ihre Position ausführlich beschrieb: «Von David heisst es, als er die Bundeslade aus dem Hause Obed Edoms heraufholte, dass er «tanzte mit aller Macht vor dem Herrn…» Die christliche Kirche im Mittelalter nahm den liturgischen Tanz auf, der für die durch das Beispiel Davids geheiligt schien …» Und sie zitierte den heiligen Basilius, der das Tanzen als die vornehmste Beschäftigung der Engel”˜ bezeichnete. (Schoop, Brief an Stadtrat, 10.9.1931)
Zugleich bat Trudi Schoop um die Publikation ihres Briefes im Kirchenboten von Fluntern. Vergeblich. Pfarrer Karl Fueter entschied: Keine Veröffentlichung. «Der Brief von Frau Schoop ist am Anfang und am Schluss sehr nett, die Ausführungen sind jedoch ganz verfehlt …» (Fueter, Brief, 6.11.1931) Auch eine Einladung Trudi Schoops im Dezember 1931 zu einer Demonstration ihrer Arbeit schlug er aus.
Über diese Veranstaltung am 5. Dezember 1931 berichtete die «Neue Zürcher Zeitung»: «Frau Schoop hatte mit ihren Vorführungen rasch die Herzen aller Zuschauer gewonnen; die «Tanzstunde» verging wie im Fluge und hinterliess restlos den Eindruck, dass in diesem hellen hohen Raum nach absolut künstlerischen Prinzipien, ernst im Ziel, heiter empfindsam, froh und spielerisch vornehm in der Ausführung gearbeitet werde. … Stadtpräsident Dr. Klöti fand die richtigen Worte, als er Frau Schoop und ihren Schülern für diese ernst künstlerische Darbietung dankte; sie könne unmöglich irgendwo Anstoss erregen.» (NZZ, 6.12.1931)
Zur Beruhigung der Lage trug das nicht bei. Und als Trudi Schoop nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland ihr Studio Emil Oprecht für Lesungen emigrierter deutscher Schriftsteller und Schriftstellerinnen zu Verfügung stellte, gab es neue, massive Proteste in der rechten Presse Zürichs.
1935 gab Trudi Schoop auf und kündigte den Mitvertrag mit der Stadt Zürich.

Der Streit ums Geld
Die jahrelange Auseinandersetzung von 1931 bis 1935 zwischen der Kirchgemeinde Fluntern und Trudi Schoop endete auch nach der Kündigung des Mietvertrages unschön.
Als Trudi Schoop 1931 die «Alte Kirche» gemietet hatte, befand sich diese in einem «trostlosen und jeder Pietät spottenden Zustand.» (Wickihalder, Brief an Kirchgemeinde, 22.8.1935) Trudi Schopp investierte 4000 Franken, renovierte und baute sie zu ihrem Studio aus. Als man sie von Seiten der Kirchgemeinde dann nachdrücklich ersuchte, ihren Mietvertrag mit der Stadt Zürich zu kündigen, wurde ihr die Erstattung dieser Kosten in Aussicht gestellt. Das sei kein Problem, versicherte ihr Kirchenratspräsident Frauchinger.
Vor der Kündigung des Mietvertrages.
Danach war davon keine Rede mehr. Trudi Schoop reduzierte ihre Ansprüche auf 2500 Franken und appellierte an «Fairness und Prinzipien, die im kaufmännischen Leben selbstverständlich sind» (Schoop, Brief an Frauchinger, 22.8.1935), die Kirchgemeinde bot 1500 Franken. Trudi Schopp stimmte entnervt zu, worauf ihr die Kirchenpflege mitteilte, dass sie bereit sei, 1000 Franken zu zahlen, «sollten Sie ablehnen, so bitten wir um rascheste Räumung …».
Trudi Schoop schliesslich wanderte mit ihrer Truppe in die USA aus, wo sie als «World-Famous clown» und «weiblicher Chaplin» gefeiert wurde.
1999 starb Trudi Schoop in Kalifornien. «Über die Bewegungen gelang es ihr, Zugang zu Seelen zu öffnen, die sich den üblichen Kommunikationsformen verschlossen hatten. Trudi Schoop wurde damit zu einer Wegbereiterin der Tanztherapie. Sie konnte mit ihrem intuitiven Vorgehen scheinbar unbezwingbare Barrikaden abbauen und Menschen aus Einsamkeit und Isolation herausführen zu neuen Begegnungen mit anderen.» (Merz, NZZ, 18.7.1999)