Das Gesellenhaus

Erstmals im 17. Jahrhundert erwähnt, ist das Gesellenhaus nebst der Alten Kirche und den Hürlimannhäusern der eigentliche Kern von Fluntern. Es wurde als Schulhaus und als Wirtshaus genutzt. Zeitweise sogar gemeinsam. Hier fanden die Gemeindeversammlungen statt, hier nahmen Fluntern Männer fast 150 Jahre lang den ihnen von Jörg Irrninger gestifteten «Bürgertrunk» zu sich.
Nachdem 1963 durch eine Volksabstimmung sein Abriss verhindert worden war, kauften die «Alt-Zofinger», die älteste Studentenverbindung der Schweiz, das Gesellenhaus und liessen es nach Plänen des städtischen Hochbauamtes umbauen. Im Obergeschoss entstand dabei ein repräsentativer Veranstaltungsraum, der Max-Huber-Saal. Er sollte, so die Absicht der «Alt-Zofinger», dem ganzen Quartier zur Verfügung stehen, ja zu dessen Zentrum werden. Die Stadt Zürich unterstützte das Vorhaben durch einen Kredit von 400'000 Franken. Mit der Bedingung, dass der Saalbetrieb für die Bevölkerung von Fluntern aufrechterhalten bleibt.
Und es schien zu funktionieren. Viele Jahre war das Gesellenhaus der Stolz der «Zofingia». Doch dann traten Probleme auf: behördliche Auflagen, Bauarbeiten am Vorderberg, Wechsel der Wirte… Zwar wurde der Max-Huber-Saal auch von Parteien oder dem Quartierverein für Veranstaltungen genutzt, aber die Kosten überwogen. Zu teuer im Unterhalt, zu gering die Einnahmen. Immer wieder mussten Altherren der «Zofingia» mit Spenden aushelfen. Glücklich wurden die «Alt-Zofinger» mit ihrer Immobilie also nicht.
2010 verkaufte die Zofingia das Gesellenhaus. «Schweren Herzens», so Mitglied Ruedi Huber. «Zofingier können aufatmen. Die altehrwürdige Zofingia hat zwar das Erbe ihrer Väter verscherbelt, ist nun aber eine Belastung los.», kommentierte der Tages-Anzeiger (23.02.2010) den Verkauf.

Vor Tische las man anders
Käufer war die Firma «Neufeld Immobilien». Das überraschte. Denn diese war bis dahin vor allem im Kreis 5, Zürichs Ausgehmeile, präsent gewesen. Nun also der Erwerb einer Liegenschaft in Zürichs Nobelquartier. Mit klaren Absichten der Käufer: Um den Vorderberg mit dem Gesellenhaus mehr als Quartiertreffpunkt zu positionieren, wollten die neuen Besitzer auf den Quartierverein und die Zunft Fluntern zugehen, den Max-Huber-Saal stärker nutzen. «Durch eine attraktive Beleuchtung», so Ronald und Peter Neufeld, «sollte der Vorderberg auch abends seine Schönheit zeigen können» (Fluntern 4/2010). «Wir freuen uns sehr, dass wir den Vorderberg übernehmen konnten und werden unser Bestes geben, dass aus ihm ein Ort mit Charakter wird.» (Fluntern 4/2010) Und: «Wir haben ganz einfach Freude an geschichtsträchtigen Häusern und möchten nicht spekulieren.» (Tages-Anzeiger 23.2.2010) Eine eindeutige Ansage.
Allerdings eine mit einer eher geringen Halbwertzeit. Denn nur einige Monate später reichten sie einen Architektenentwurf zum Umbau des Max‐Huber-Saales zu Studentenwohnungen ein. «Wir mussten uns die Überlegung machen, diesen Saal optimaler zu nutzen und hatten die Idee drei grosszügige Studentenwohnungen einzurichten», so Benjamin Neufeld am 11.11.2010. Da dieses Projekt «wegen der enormen Verkehrsbelastung am Kreisel Vorderberg» nicht genehmigungsfähig war, wurde der Bauantrag als nicht «gesetzeskonform» abgelehnt. Dann ein modifizierter Bauantrag:
Die obere Etage des Gesellenhauses mit dem «Max-Huber-Saal» solle zu Büros umgebaut werden. Der Quartierverein Fluntern reagierte rasch und scharf: «Petition ‹Rettet den Quartiersaal Fluntern›: Fluntern sorgt sich um den Bestand des Max-Huber-Saals im Vorderberg. Der ist durch die von den Eigentümern eingereichte Baueingabe ‹Umbau und Umnutzung zu Büroräumen› gefährdet. Wir ersuchen den Gemeinderat und die Stadt Zürich dringend, tätig zu werden, damit der Max-Huber-Saal als einziger zentraler Veranstaltungsort im Quartier gerettet wird!» Sollte der Saal «Opfer einer Spekulation werden, verliere das Quartier die letzte erreichbare Begegnungsstätte». (NZZ 11.11.2010) Ein Protest mit Erfolg. Aus «baurechtlichen Gründen» verzichteten die «Neufeld Immobilien» auf einen Abriss des Max-Huber-Saales.

Neues Leben zwischen alten Wänden
Gegenwärtig wird der Max-Huber-Saal im Gesellenhaus zur Betreuung von Flunterns Kindern als Schulhort genutzt. Für den Quartierverein zwar keine optimale Lösung, denn öffentliche Veranstaltungen sind so nur sehr eingeschränkt möglich, aber immerhin bleibe der Max-Huber-Saal so wenigstens erhalten.
Prof. Dr. Max Huber, der Namenspatron, hätte jedoch, das vermutet zumindest sein Enkel Ruedi Huber, an der Nutzung des Saales «für einen gemeinnützigen Zweck sicher seine Freude gehabt.»
Vergleiche hinken. Jedoch ähnelt der Gebrauch des Gesellenhauses im Jahre 2021 wieder jenem vor 250 Jahren: Unten als Wirtshaus – «Grain» nennt es sich heute und hat das wahrscheinlich umfangreichste Bierangebot Zürichs zu bieten – und darüber im Hort die Erziehung von Flunterns Kindern…. Damals fanden das die Fluntermer als unangemessen und bauten für ihre Kinder ein eigenes Haus, die heutige Alte Kirche.

Martin Kreutzberg, Januar 2021