Auf Schusters Rappen von Haus zu Haus

Trotz der grossen Distanz zur Stadt waren auch am Zürichberg fahrende Händler, Hausierer und Vertreter unterwegs und boten ihre Ware feil. Messer- und Scherenschleifer, Hausierer mit ihren Schuhbändeln, Seifen und Lappen, Vertreter für Kühlschränke und Staubsauger. Zu jeder Tageszeit unterwegs waren die Zeitungsverträger, schliesslich gab es bis Ende der 1960er Jahre täglich drei Ausgaben zu verteilen.
An manchen Tagen – vorzugsweise nach Sturmnächten – war schon von weitem der Ruf «Glaaaseeer» zu hören.
Lea Carl, eine ehemalige Quartierbewohnerin, erinnert sich: «Der Glaser Degiacomi stammte aus dem Calancatal und war bis in die 1990er Jahre am Zürichberg mit seinem schweren Traggestell voller Fensterscheiben unterwegs. Seine Werkstatt hatte er an der Froschaugasse 16 / Ecke Brunngasse. Er war ein schmächtiger, kerzengerader Greis und muss damals hoch in den achtziger Jahren gewesen sein. Flink und effizient wie ein Specht, spitzte er den alten Kitt weg, dass er nur so spritzte.
Während des Mittagessens erzählte er in seiner trocken-witzigen Art aus seinem Leben, das klang wie bei Charles Dickens.
In seiner Familie gab es viele Mäuler zu stopfen. Wie in vielen armen Familien mussten die Kinder mitarbeiten. Völlig übermüdet schleppten sie sich nach getaner Arbeit in die Schule, wo sie vom Lehrer-Pfarrer mit den obligaten Prügeln aufgemuntert wurden. Der jährliche Lichtblick: Das Fest zu Ehren des Kirchenpatrons. Die Dorfbewohner versammelten sich dazu auf der Alp, drei Fussstunden über dem Tal in der Bergkapelle. Die Familie hatte zur Feier ihre Ziege geschlachtet. Der junge Degiacomi konnte sich erst nach getaner Arbeit auf den Weg machen und freute sich während des langen beschwerlichen Aufstiegs auf das feine Stück Fleisch, das ihn auf der Alp erwartete. Doch oben angelangt, hatte Hochwürden die besten Stücke bereits verspeist. Übrig geblieben war bloss der Ziegenkopf. Da sei er «eso verruckt gko», dass er diesen samt dem Teller mit weitem Schwung ins Tal schmetterte.
Den Höhepunkt als Glaser erlebte er in Paris, jawoll in Paris! Da sei einmal seine Fotografie in der Zeitung erschienen.

Gabriela Mattes, nach Erinnerungen von Lea Carl